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predigt[e].de

Die Predigt vom 9. November 2008 (Drittl. Sonntag des Kirchenjahres):
»... als wenn dieser Tag der letzte wäre«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres. Sein Thema ist das Kommen Gottes. Evangelium (1. Lesung) war die Frage nach dem Zeitpunkt des Kommens Gottes und Epistel (2. Lesung) die Überzeugung des Paulus, dass wir in Gottes Hand stehen. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war aus dem 1. Thessalonicherbrief Kapitel 5:
Predigttext
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Der Predigttext
1 Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.
3 Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr -, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entfliehen.
6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.
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Die Predigt
„... als wenn dieser Tag der letzte sein könnte“

„Lebe so, als wenn dieser heutige Tag dein letzter sein könnte."
Das ist eine alte, oft wiederholte Weisheit. Man hat sie schon vielen großen Denkern in den Mund gelegt. Aber eigentlich muss man dazu gar kein Philosoph sein oder eine bestimmte Bildung haben.
„Lebe so, als wenn dieser heutige Tag dein letzter sein könnte."
Eine Binsenweisheit, aber doch eine, um die wir uns lieber drücken. So richtig bewusst wird sie einem immer erst dann, wenn man die sog. Grenzerfahrungen macht: Von einer Krankheit gesund geworden, die hätte schlimmer ausgehen können. Eine Botschaft vom Arzt bekommen, die einen hat aufatmen lassen. Im Straßenverkehr knapp einem Unfall entronnen. Beim Tod eines guten Bekannten, der genauso alt oder noch jünger ist.
Es hat bei unserer menschlichen Verdrängungskunst schon seinen guten Sinn, wenn am Ende des Kirchenjahres alle Jahre wieder dieser ernste Ton angeschlagen wird.

Das Kommen Gottes am „Tag des Herrn“

Lebe als Christ so, als wenn dieser heutige Tag der letzte der ganzen Welt sein könnte, so könnte man die Botschaft des Apostels Paulus aus dem heutigen Predigttext umformulieren.
Vom „Tag des Herrn" und dass er unversehens kommt, redet Paulus. „Tag des Herrn", das ist ein alttestamentlicher Ausdruck für den Tag, an dem Gott, der Herr, dieser sichtbaren Welt ein Ende setzt. Und dieser sog. jüngste Tag ist für Paulus nicht so sehr ein erschreckendes, eher ein ermutigendes Ereignis: Der jüngste Tag ist ein Tag der Gerechtigkeit für die, die im Leben keine Gerechtigkeit erfahren haben. Er ist eine Drohung eigentlich nur für die, die die Gerechtigkeit mit Füßen treten.
So lesen wir im 1. Brief an die Gemeinde in Thessalonich im 5. Kapitel:

1 Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. 3 Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr -, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entfliehen. 6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

Wann begegnet mir Gott?

Den jüngsten Tag für das eigene Leben schieben wir im Alltag schon weit weg. Noch weiter weg aber ist für unser Denken der jüngste Tag für die ganze Welt. Dafür geht es uns in dieser westlichen Welt ganz einfach zu gut. Und wenn es - wie jetzt - nicht mehr nur aufwärts geht, dann jammern wir im Vergleich immer noch auf einem hohen Niveau. Anders haben es die verfolgten Christen zur Zeit des Paulus empfunden. Und wie ganz anders werden es wohl die Mitchristen auf unserer Welt empfinden, die jeden Tag nicht mehr als das nackte Leben davontragen.
Ich weiß also, dass ich diesen Worten des Paulus ein Stück von ihrer Schärfe nehme, wenn ich diesen „Tag des Herrn" nicht im Weltmaßstab, sondern persönlich verstehe, wenn ich nun also mehr vom Kommen Gottes zu jedem einzelnen von uns rede.

Das Kommen Gottes nicht berechnen wollen

Was könnte das also für dich und mich heißen, den „Tag des Herrn" nicht zu verdrängen? Wir bekommen an diesem Tag des Herrn unmissverständlich und unübersehbar gezeigt, wer der Herr ist. Und das vielleicht aus heiterem Himmel.
1 Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.
Der Zeitpunkt lässt sich nicht berechnen. Gott steht außerhalb unserer Zeit. Man kann nicht mit ihm planen. Man kann ihn nicht in den Terminkalender schreiben.
Wenn das nur in der Kirchengeschichte immer ernst genommen worden wäre! Wie oft haben Gruppen wie die Zeugen Jehovas oder auch christliche Gemeinschaften das Wiederkommen Gottes berechnen wollen, und haben sich doch immer neu selbst korrigieren müssen.
Eigentlich solltet ihr, sagt Paulus, das schon aus den Gleichnissen Jesu wissen. So z.B. im Lukasevangelium: „Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Deswegen: Seid auch ihr bereit." (Lk 12,39)
Der Dieb in der Nacht. Das ist das biblische Bild für das Unberechenbare, das Unvermutete und Unvorhersehbare.

Ablaufende Zeit und erfüllte Zeit

3 Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr -, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entfliehen.
Sie, das sind für Paulus die Menschen, die sich in Sicherheit wiegen, oder die sagen: Ach, das hat noch Zeit. So alt bin ich doch noch nicht. Darüber kann ich später immer noch nachdenken.

„Es hat noch Zeit." Die griechische Sprache hat für das Wort „Zeit" zwei verschiedene Worte: Chronos, das ist die Zeit, wie sie verläuft, wie man sie mit dem Chrono-Meter, mit dem Zeit-Messer, messen kann. Und Kairos, das ist der entscheidende Zeitpunkt, den man nicht messen, sondern den man nur beim Schopf packen oder auch verpassen kann: Die erfüllte Zeit, die sogenannten Sternstunden, die Schicksalsstunden, die Lebenswenden, die entscheidenden Weichenstellungen, oder auch die verpassten Momente, die nicht wiederkommen.

Sein Leben nicht verschlafen

6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.
Sein Leben verschlafen. Sie merken, das hat nichts mit dem Schlafen im wörtlichen Sinn zu tun. Man kann die Nächte durchfeiern, um ja nichts zu verpassen, und doch das Leben verschlafen. Wer sein Leben verschläft, wer in den Tag hinein lebt, der wird ein Knecht des Chronos, dieser unbarmherzig voranschreitenden Zeit.
Wach und nüchtern sein. Auch das ist nicht einfach wörtlich gemeint. Es zeigt eher einen anderen Umgang mit der Zeit: Wach und aufmerksam den Kairos, den rechten Moment beim Schopf packen. Nicht einfach in den Tag hinein leben, sondern aufmerksam jene entscheidenden Momente, auf die es im Leben ankommt, sehen und ergreifen.

Das Lächeln, das mir gilt, nicht übersehen.
Den Sonnenstrahl, der plötzlich aus der Wolke kommt.
Das Glücksgefühl, irgendwo auf einer sonnigen Bank zu sitzen, ein gutes Essen zu genießen, eine ergreifende Musik zu hören.
Das momentane Gefühl „Wie gut geht's dir eigentlich!" bewusst wahrnehmen und nicht gleich wieder vergessen.
Das überraschende Innewerden: Du lebst. Du atmest. Du nimmst die Welt um dich wahr. Deine Glieder gehorchen dir.
Sich Zeit nehmen, einfach nur der brennenden Kerze nachzusinnen. Oder dem fallenden Blatt und dem fliegenden Vogel.

Aber auch das andere:
Das deutliche Warnsignal des Körpers nicht übersehen.
Die Mahnung eines lieben Menschen nicht in den Wind schlagen.
Einen Hilfeschrei am Lebensweg nicht überhören oder vor den hilfesuchenden Augen den Kopf wegzudrehen.

Vielleicht begegnet genau dann Gott. Vielleicht ist das der Tag, der Moment des Herrn.
1 Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht. 6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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