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Die Predigt |
Wie in Sodom und
Gomorra
In meiner Kinderzeit gab es den Ausdruck: „Hier geht es zu wie
in Sodom und Gomorra.“ Das war mehr spaßhaft gemeint,
wenn jemand z.B. nicht aufgeräumt hatte oder totale Unordnung
war. Andere sagen, es sieht auch wie „bei Hempels unterm Sofa.“
Beim Propheten Jesaja damals war es aber ganz und gar kein Spaß:
10 Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren
die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! 11 Was soll mir die
Menge eurer Opfer? spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von
Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen
am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. 12 Wenn ihr kommt,
zu erscheinen vor mir - wer fordert denn von euch, dass ihr meinen
Vorhof zertretet? 13 Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer!
Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel! Neumonde und Sabbate,
wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung mag ich nicht!
14 Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind
mir eine Last, ich bin's müde, sie zu tragen. 15 Und wenn ihr
auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor
euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht;
denn eure Hände sind voll Blut. 16 Wascht euch, reinigt euch,
tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen!
17 Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten,
schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache!
So redet der Prophet Jesaja gleich im ersten Kapitel mit den Israeliten.
Er redet zur Gottesdienstgemeinde, zu denen, die sich auf dem Tempelvorhof
versammelt haben. Er redet nicht zu irgendwem, er redet zu den Frommen,
zu den Gottesdienstbesuchern.
Das war kein Spaß mehr, und die Hörer haben vermutlich
auch keinen Spaß verstanden: Sodom und Gomorra – einen
härteren Vorwurf kann man nicht erheben. Da geht es nicht einfach
nur um ein wenig äußere Unordnung. Es geht um innere Unordnung
um ein inneres Drunter und Drüber. Es geht um Glauben und Unglauben.
Sodom und Gomorra - das war sprichwörtlich. So schlimm sei es
in den beiden Städten nicht weit von der Südspitze des Toten
Meeres damals zugegangen, dass Gott Feuer hat vom Himmel fallen lassen.
Ich stelle mir vor, wie den Frommen auf dem Tempelvorplatz und vor
allem den Schriftgelehrten, den Priestern und Adeligen die Kinnladen
heruntergefallen sind. Sodom und Gomorra hier in Jerusalem? Hier am
Tempel? Hier vor dem Allerheiligsten?
Harte Worte – auch für heute?
Da kommt man freiwillig und gern zum Gottesdienst und muss sich Sodom
und Gomorra vorhalten lassen. Da kommt man zum Gottesdienst und muss
sich als Heuchler beschimpfen lassen, der nur mit scheinheiliger Büßermiene
vor Gott tritt.
Ich hoffe, Sie verstehen, dass das nicht einfach eine normale Predigt
werden kann. Wer bin ich, dass ich Ihnen die Worte des Jesaja heute
Abend um die Ohren hauen könnte. Jesaja muss selber reden. Ich
kann seine Worte nicht einfach zu meinen Worten machen.
Deswegen die Prophetenworte in vier Abschnitten, nur wenige Worte
von mir und dann jeweils Zeit zur Stille, damit Jesaja, damit Gott
selber reden kann.
Gott will keine Opfer mehr
Sodom und Gomorra. Jesaja muss seine harten Worte begründen.
Und er tut es auch. Erst einmal in Form von Fragen:
11 Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der HERR. Ich bin
satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern
und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke.
12 Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor mir - wer fordert denn von euch,
dass ihr meinen Vorhof zertretet? 13 Bringt nicht mehr dar so vergebliche
Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel!
Tieropfer und religiöses Blutvergießen haben wir nicht
mehr. Sie sind seit dem Selbstopfer Jesu, seit seinem freiwillig vergossenem
Blut ein für allemal unnötig und erledigt.
Doch auch wir opfern: Wir opfern Geld für gute Zwecke. Wir opfern
Zeit für die Gemeinde und für Menschen, die uns brauchen.
Manche opfern sich auf. Und nun sollen wir uns von Gott sagen lassen:
„Das könnt ihr bleiben lassen. Ich brauche eure Opfer nicht.
Sie sind umsonst.“ Was könnte Gott damit meinen?
(Stille)
Gott will keine Feiertage mehr
Neumonde und Sabbate, wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung
mag ich nicht! 14 Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahresfesten;
sie sind mir eine Last, ich bin's müde, sie zu tragen.
Wir feiern keine Neumonde mehr und auch nicht den Sabbat. Der Sonntag
ist unser wöchentlicher Feiertag. Und wir feiern Feste, z.B.
an der Kirchweih, Festgottesdienste an Ostern und Weihnachten. Und
wir tun es gern und fröhlich und mit gutem Gewissen. Und nun
sollen wir uns von Gott anhören: „Das alles ist mir eine
Last. Ich kann euer Feiern nicht mehr ertragen.“
Schon wieder dieser Vorwurf, aber nun mit einer Andeutung: „Frevel
und Festversammlung“. Was könnte Gott damit meinen? Was
könnte frevlerisch, was könnte gottlos und verkehrt sein
an unseren kirchlichen Feiern?
(Stille)
Gott will keine Gebete mehr
15 Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich
doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre
ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. 16 Wascht
euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst
ab vom Bösen!
Und nun noch ärger: „Ihr braucht eure Hände gar nicht
falten. Ihr braucht überhaupt nicht mehr beten. Ich höre
euch sowieso nicht. Lasst es sein, denn ich höre euch sowieso
nicht. Ihr streckt mir die Hände entgegen, aber sie sind voller
Blut.“
Wir sind doch keine Mörder. Was meint Gott damit? Was ist mit
unseren Händen, dass er sie nicht anschauen kann? Was haben wir
versäumt? Was haben wir getan? Womit haben wir sie uns schmutzig
gemacht? Was könnte Gott damit meinen?
(Stille)
Gott will Gerechtigkeit
17 Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten,
schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache!
Und nun nach den drei sich steigernden harten Vorwürfen des Propheten
der Kern der Sache: Ihr könnt opfern, soviel Ihr wollt. Ihr könnt
Feste feiern, soviel ihr wollt. Ihr könnt beten, soviel Ihr wollt.
Schön und gut! Wenn Ihr aber vergesst, Gutes zu tun und für
Gerechtigkeit zu sorgen, dann ist das alles umsonst. Was hilft euer
Gottesdienst, wenn er nicht mit Menschen-dienst verbunden ist.
Und dann nennt der Prophet die damaligen Randgruppen: Die Unterdrückten,
denen das Recht vorenthalten wird, weil die Reichen sich das Recht
kaufen können. Waisenkinder, die damals völlig hilf- und
mittellos waren, weil sie keine Familie hatten. Die Familie war das
Sozialsystem. Ein Aufgefangenwerden durch das Soziale Netz des Staates
gab es nicht. Und dann noch die Witwen, die ohne ihren Mann rechtlos
und schutzlos waren in einer Gesellschaft, wo nur die Männer
zählten.
Wo sind die Unterdrückten und die Benachteiligten heute? Wo müssen
wir unsere Herzen, unsere Augen, unsere Hände und auch unsere
Geldbeutel öffnen?
Wenn wir Jesaja jetzt radikal ernst nehmen würden, müssten
wir auf der Stelle den Gottesdienst abbrechen und sagen: Kein Lied
mehr, bevor wir nicht jemand zugehört haben. Kein Gebet mehr,
bevor wir nicht jemand getröstet haben. Kein Abendmahl, bevor
wir nicht ein Unrecht in unserer Nachbarschaft beim Namen genannt
und in Ordnung gebracht haben.
Wir wollen den Gottesdienst wie gewohnt zu Ende führen. Aber
wir dürfen anschließend zu Hause nicht so tun, als sei
nichts gewesen. |
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