|
Die Predigt |
Adventliche Ungeduld?
Können wir als Erwachsene eigentlich noch so richtig Advent feiern?
Können wir noch mit kindlicher Ungeduld warten? Den meisten fehlt
nichts oder nicht viel. Wir haben, was wir brauchen. Wir freuen uns
eher daran, es für andere Advent werden zu lassen. Wir freuen
uns über große, ungeduldige und leuchtende Kinderaugen,
aber unsere eigenen Adventsaugen leuchten nicht mehr wie früher.
Die Kinder dagegen leben den Advent. Sie können es nicht erwarten.
Sie sind ungeduldig. Wenn man durch das Aufessen des Adventskalenders
Weihnachten auf einen Sitz herbeizwingen könnte, würden
sie es sofort tun. Ich sage das, weil dieses unbändige und ungeduldige
Warten ursprünglich zu einem Advent, wie ihn unsere Bibel meint,
hinzugehörte:
Von einer solchen unbändigen und ungeduldigen Erwartung waren
nämlich die meisten Menschen zur Zeit Jesu bestimmt. Von der
Messiaserwartung redet man in der Sprache der Theologen: Den Messias,
auf lateinisch den Christus, auf deutsch den Gesalbten, den von Gott
Gesandten, haben sie erwartet.
Hoffnung auf Gerechtigkeit
Die zumindest haben ihn erwartet, die auf Änderung der Verhältnisse
hofften: die sich durch die römische Besatzung ihrer Grundrechte
beraubt fühlten, oder für die als Arme vom Tisch der Reichen
nichts abfiel. Andere haben sich nicht so sehr danach gesehnt: die
Oberen nämlich, die sich mit den Römern arrangierten und
sich ihre Freiheit und ihren Luxus einigermaßen erhalten konnten.
Denen war im Gegenteil an der Ruhe im Land gelegen, damit die Römer
als Besatzer keinesfalls einen Grund zum Eingreifen finden könnten.
Die anderen aber sehnten sich unbändig nach Gerechtigkeit: nach
politischer Gerechtigkeit, also nach der Freiheit von der Unterdrückung.
Und nach sozialer Gerechtigkeit, nach einer gerechten Verteilung der
Güter, nach einem Ausgleich zwischen Arm und Reich.
Und weil sie sahen, dass weder die herrschenden Politiker noch die
damaligen Untergrundkämpfer diesen gerechten Ausgleich schafften,
erhofften sie sich nach der Verheißung des Alten Testaments
ein Eingreifen Gottes ganz persönlich. Oder das Eingreifen eines
Gottgesandten in seinem Namen.
Gerechtigkeit bedeutet Abgeben
Ich glaube, die meisten von uns gleichen eher dieser damaligen Oberschicht,
die eigentlich gar keine einschneidende Veränderung will. Denn
einschneidende Veränderungen zu mehr Gerechtigkeit würden
ja bedeuten, dass die, die jetzt viel haben, abgeben müssen.
Wer will schon eine Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungshilfe,
wenn das zur Folge hat, dass am Ende weniger auf unserem Gehaltskonto
und Rentenkonto ist? Wer will mehr klimaschonende Maßnahmen
in Europa, wenn das deutsche Arbeitsplätze kostet? Für „Brot
für die Welt“ geben wir von dem, was wir übrig haben.
Wer gibt schon so viel, dass er sich dann selbst einschränken
müsste?
Ich vermute, im heruntergewirtschafteten Simbabwe, das nun auch noch
von der Cholera bedroht wird, denken und fühlen die Christen
ganz anders als wir. Die rufen vermutlich wie Maria: Herr, komm doch.
Stürze die Gewaltigen vom Thron und erhebe die Niedrigen.
Insofern sind wir eigentlich sehr weit weg von dem, was Advent damals
zur Zeit Jesu und zur Zeit Johannes des Täufers war. Vielleicht
ist es heilsam, das einfach wahrzunehmen. So möchte ich ausgehend
vom Evangelium von Johannes dem Täufer erzählen. Also heute
nicht so sehr eine seelsorgerliche Predigt, mehr eine, damit wir mehr
verstehen.
Ein schrulliger Prophet
Johannes, dem man später den Beinamen Täufer gab, war ein
Mensch, der sich ganz dieser Hoffnung auf die kommende Gerechtigkeit
verschrieben hatte. So wichtig war sie ihm, dass er sein bürgerliches
Leben aufgegeben hatte und als Wanderprediger, als Bußprediger,
als schrulliger Einsiedler in der Nähe Jerusalems am Jordan wirkte.
Er wollte die Menschen aufrütteln und vorbereiten für das
Nahe Kommen Gottes. Die sich darauf einließen, die ihre Sünden
bekannten und ihr Leben änderten, die taufte er zum Zeichen ihrer
Vergebung im Jordan.
Auch Jesus hatte sich, bevor er in die Öffentlichkeit trat, von
ihm taufen lassen. Manche vermuten sogar, Jesus sei eine Zeitlang
ein Jünger dieses Johannes gewesen und habe sich von ihm von
dieser Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit anstecken lassen. Und Johannes
seinerseits spürte offenbar, dass es mit diesem Jesus etwas ganz
Besonderes auf sich hatte.
Aber sie verlieren sich aus den Augen, weil Jesus im Norden des Landes,
in Galiläa wirkt. Und in der Zwischenzeit wird Johannes verhaftet
und ins Gefängnis geworfen. Er hatte nämlich seinen Landesvater
Herodes, einen Sohn des Herodes, den wir als den Kindermörder
von Bethlehem kennen, öffentlich angeprangert, weil dieser die
geschiedene Frau eines Halbbruders, zugleich seine Nichte, zur Frau
genommen hatte.
Erfüllt Jesus die Hoffnungen?
Nun sitzt Johannes im Gefängnis und seine Jünger halten
ihn auf dem Laufenden, was draußen in der Welt vorgeht. Alles
von Jesus interessiert ihn. Es geht ja schließlich um seine
große Hoffnung. Es geht um sein Lebenswerk.
Und nun heißt es, er habe einige seiner Jünger zu Jesus
hingeschickt, um ihn zu fragen: „Bist du der, der da kommen
soll?" Auf deutsch: „Bist du der Messias? Bist du der von
Gott Gesandte? Wirst du Gottes Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen?
Oder bist du's nicht und wir müssen auf einen anderen warten?“
Und so kommen sie zu Jesus. Doch der schickt sie nicht mit einer klaren
Antwort, mit einem klaren Ja oder einem klaren Nein nach Jerusalem
zurück, sondern sagt nur: Schaut euch um, macht euch selbst ein
Bild und erzählt es Johannes weiter, damit er sich ein Bild machen
kann: Blinde, die mir begegnet sind, können wieder sehen. Gelähmte
können wieder laufen. Aussätzige sind gesund geworden. Taube
können wieder hören. Tote sind ins Leben zurückgekehrt.
Und die Armen und die Außenseiter schöpfen auf einmal wieder
Mut. Ihnen gilt die gute Botschaft von dem Gott, der sie liebt.
Auf deutsch: Schaut euch um. Sind das nicht alles kleine Zeichen von
Gottes Gerechtigkeit? Sind das nicht Dinge, die sich die Propheten
des Alten Testamentes von der kommenden Heilszeit erwartet haben?
Reicht euch das oder reicht es euch noch nicht?
Jesus kein politischer Heilsbringer
Es ist nicht ganz klar, weswegen Jesus auf die Frage nach dem Messias
einem klaren Ja oder Nein ausweicht. Er tut es ja nicht nur an dieser
Stelle hier, sondern auch in anderen Situationen.
Ein Grund ist vermutlich, dass es ihm nicht um sich als Person geht,
sondern um Gott selber. Wenn Menschen gegen alle Vernunft gesund geworden
sind, dann ist das nicht seine Leistung wie die eines großen
Zauberers, sondern es ist allein Gottes Tat. Er ist nur der Mittler.
Er hat die Menschen und Gott zusammengebracht. Einen Personenkult
wollte Jesus offenbar nicht.
Und der andere Grund könnte sein, dass viele Menschen damals
mit dem Messias auch den politischen Befreier gemeint haben, einen,
der sie von der römischen Vorherrschaft befreien würde.
Und das wollte Jesus nach der Beschreibung in den Evangelien ganz
gewiss nicht sein. So fehlen in seiner Aufzählung für die
Johannesjünger, was sich bisher schon zum Guten gewendet hat,
die politischen Dinge ja ganz und gar.
Ob Johannes im Gefängnis später mit dieser Antwort Jesu
zufrieden gewesen ist, ist uns nicht überliefert. Er konnte das
Gefängnis nicht mehr verlassen und wurde aus einer Laune heraus
im Auftrag des Herodes hingerichtet. Vielleicht kennen Sie die Geschichte
mit dem abgeschlagenen Haupt auf dem Tablett. Welch eine Tragik, dass
der, der so sehnsüchtig auf Gerechtigkeit und auf den Retter
gewartet hat, bis zuletzt erleben muss, wie die politische Willkür
und die Bosheit den Sieg davontragen!
Johannes, der Fundamentalist
Und dann nimmt Jesus in der Fortsetzung der Geschichte die Frage der
Johannesjünger zum Anlass, zu sagen, was er von Johannes hält:
„Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht?“
Auf deutsch: Johannes ist kein Mensch, der seine Meinung wechselt,
so wie ein Schilfrohr im Wind hin und her wiegt. Eindeutig ist er
und ohne Furcht vor den Mächtigen.
„Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen. Siehe,
die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige.“
Nein, ein Freund der Oberschicht und der Reichen ist Johannes gewiss
auch nicht gewesen. Er stand auf der Seite der Armen und Benachteiligten.
Als ein Asket, in ein Kamelfell gekleidet, der sich von Heuschrecken
und wildem Honig ernährte, stand er auch auf der Seite der Natur.
Ein überzeugter Grüner, aber kein Realo, sondern durchaus
ein Fundamentalist. Einer, der keine Kompromisse macht. Einer, der
anecken muss.
„Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, er
ist mehr als ein Prophet. Er ist's von dem geschrieben steht: Siehe,
ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten
soll.“
Mehr als ein Prophet ist Johannes, mehr als ein Kritiker der Ungerechten,
mehr als einer, der den kommenden Messias ankündigt. Er ist der
Vorläufer des Messias. Der letzte in der Reihe der Propheten.
Nach ihm wird keiner mehr kommen. Das war das höchste, was man
damals von einem Menschen sagen konnte.
Wenn doch dieser Johannes in uns ein wenig weiterwirken könnte,
wenn er uns doch wenigstens ein wenig beunruhigen könnte mit
dem, was ihn ausgemacht hat: mit seinem ungeduldigen Warten auf Gerechtigkeit,
mit seiner Furchtlosigkeit vor den Mächtigen, und wie er so eindeutig
auf der Seite der Armen und Benachteiligten stand. Wenn wir als Menschen
des Advent ein wenig nur von ihm lernen könnten. Amen |
|