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predigt[e].de

Die Predigt vom 31. Dezember 2008 (Altjahresabend):
»Verpasste Gelegenheiten?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Altjahresabend. So heißt der Silvestertag im kirchlichen Sprachgebrauch. Sein Thema ist Angst und Zuversicht. Evangelium (1. Lesung) und Predigttext (s.u.) war die Einladung Jesu zur Wachsamkeit aus Lukas 12 und Epistel (2. Lesung) die Gewissheit des Paulus, dass uns nichts von Gottes Liebe trennen kann.
Predigttext
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Der Predigttext
35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen 36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. 37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. 38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet's so: selig sind sie. 39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. 40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint. (Lk 12,35-40)
Predigt
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Die Predigt
Gelegenheiten ergreifen oder verpassen

Die sog. „Gelegenheiten" sind es, die unser Leben immer wieder ausmachen. Nicht die Gelegenheitskäufe, an die manche vielleicht zuerst denken, sondern die Gelegenheiten, die sich im Lauf unseres Lebens ergeben. Ge-legen-heiten, so sagt es das Wort, können wir nicht machen. Sie liegen einfach da: Sie liegen auf einmal vor den Füßen oder am Wegrand des Lebensweges.
Da gibt es Gelegenheiten, die wir ergreifen, und Gelegenheiten, die wir verpassen. Es gibt Gelegenheiten, die kommen immer wieder, und andere, die kommen nur einmal. Es gibt wichtige und entscheidende, es gibt aber auch unwichtige Gelegenheiten. Manche sind es wert, dass man ihnen nachtrauert, wenn man sie verpasst hat — andere nicht.
Entscheidende Lebenssituationen sind oft mit Gelegenheiten verbunden, die man erkannt und dann auch ergriffen hat: Wie man seinen Ehepartner gefunden hat, vielleicht. Oder als es um die Berufswahl ging oder das Haus, in dem man lebt; gute Freunde, die man wie zufällig kennen gelernt hat. Auch eine finanzielle Entscheidung zur rechten Zeit. Oder auch ein Gang zum Arzt gerade noch im rechten Moment.
Aber auch die sog. kleinen Gelegenheiten, die man – Gott sei Dank – nicht verpasst hat: ein tröstendes Wort zur rechten Zeit, eine Bitte um Verzeihung, eine Umarmung.

Verpasste Gelegenheiten

Und ebenso lebensentscheidend sind oft die verpassten Gelegenheiten. Die Gelegenheiten, die wir nicht oder zu spät erkannt haben. Die Gelegenheiten, die wir haben verstreichen lassen: „Wenn ich das gewusst hätte!" „Wenn ich das doch früher geahnt hätte!" „Wenn ich da doch besser aufgepasst hätte!“
Manche dieser Gelegenheit kommen – Gott sei Dank – noch einmal und wir können nachholen, was wir versäumt haben. Doch es gibt auch welche, die kommen nicht wieder: Man hat verpasst, mit einem Menschen etwas in Ordnung zu bringen, bevor er starb. Oder es unterblieb die Versöhnung zur rechten Zeit, und nun ist ein Verhältnis unwiederbringlich zerstört. Oder manche müssen gar hören, dass man ihnen noch hätte helfen können, wenn sie ein Vierteljahr früher zum Arzt gegangen wären.

Gelegenheiten, die wir ergriffen haben. – Gelegenheiten, die wir verpasst haben. Wenn Sie heute über den Lauf des zu Ende gehenden Jahres nachsinnen, werden Sie sich vielleicht an solche Gelegenheiten erinnern. Heute ist die Möglichkeit, Bilanz zu halten: Was ist unwiederbringlich vorbei gegangen? Was kann noch in Ordnung gebracht werden?
Was wirklich unwiederbringlich vorbei ist, muss ich akzeptieren. Es ist nicht gut, seelische Kraft zu investieren, wo etwas nicht mehr geändert werden kann. Es lähmt nur, Neues anzupacken. Wenn durch das Versäumnis Schuld entstanden ist, dann ist heute in der Beichte der Raum, diese Schuld anzusprechen und im Abendmahl zu hören: „Es ist alles wieder gut." Und wenn Schuld mit einem konkreten Menschen zu tun hat, dann ist es nie zu spät, auf ihn zuzugehen.

Wachsamkeit für die Gelegenheiten

Ganz gewiss wird dieses neue Jahr wieder Gelegenheiten und Chancen mit sich bringen. Sie fordern von uns Bereitschaft und Wachsamkeit. Sie warten darauf, ergriffen zu werden. Das entdecke ich im heutigen Predigttext, den Sie vorhin schon als Evangelium gehört haben. In zwei Gleichnissen versucht Jesus zu erklären, wie solche Bereitschaft aussieht:
Zuerst erzählt Jesus aus der damaligen Lebenswirklichkeit von einem Mann, der zu einem Fest eingeladen ist. Niemand weiß, wie lange sich die Feier hinziehen wird, und wann er wieder nach Hause kommt. Von den Knechten des Hauses, vom Gesinde, wurde erwartet, dass sie rechtzeitig und dienstbereit zur Stelle sind, egal, wann der Hausherr heimkommt. Ihre Lenden sollen umgürtet sein. D.h. ihr langes Alltagsgewand soll an den Hüften zusammengebunden sein, damit sie jederzeit gehen und arbeiten können. Ihre Lampen sollen brennen, damit sie ihre Arbeit tun und auch den Hausherrn empfangen und ins Haus geleiten können.
Der „Hausherr": Da haben die Hörer bei Jesus natürlich die Ohren gespitzt. Sie haben verstanden: Das ist nicht einfach nur eine Geschichte aus dem Lebensalltag, sondern das hat auch etwas mit Gott zu tun. Ganz überraschend kann er, der Hausherr dieser Welt und meines Lebens, bei mir anklopfen. Und dann ist die Frage, ob ich bereit bin.

Und dann noch das andere Gleichnis: Jeder, der ein Haus besitzt, muss damit rechnen, dass vielleicht einmal gewaltsam bei ihm eingebrochen wird. Wie nun? Lässt er sich von dieser Angst lähmen? Oder behält er sich die notwendige Gelassenheit, und findet den nötigen Mittelweg zwischen nüchterner Wachsamkeit und Angst?

Gott klopft an

Ganz überraschend kann Gott an deiner Lebenstür anklopfen, sagt Jesus mit seinen Gleichnissen. Vielleicht sogar gewaltsam wie ein Einbrecher in der Nacht. „Es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war." so heißt es in einem Lied. Er will damit zwar aufrütteln, aber er will keine Angst machen. Eine Begegnung mit Gott, und wenn sie noch so überraschend ist, ist immer heilsam. So haben die Hörer wohl auch bei einem anderen Satz der Geschichte damals die Ohren gespitzt:
37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.
Da passt das Gleichnis nicht mehr, denn das hätte damals kein Hausherr gemacht: seine Sklaven bedienen. Und spätesten da merken die Zuhörer: Jesus erzählt nicht wirklich aus dem Alltag. Er erzählt von Gott, dem Herrn, der ganz überraschend und auch anders handelt als die Herren dieser Welt. Gott, der uns nicht in erster Linie als Richter, sondern als Heiland begegnet.

Sehen wir es durchaus als heilsam und als Chance an, wenn Gott im kommenden Jahr bei uns anklopfen sollte. Anklopfen: Bildlich wie im Gleichnis. Es ist auf jeden Fall zum Heil und zum Guten.
Gott klopft bei uns an. Bleiben wir noch ein wenig bei dieser bildlichen Rede:

Von der Alten, die auf Gott wartete

Es war einmal eine alte Frau, der hatte der liebe Gott versprochen, sie heute zu besuchen. Darauf war sie nun natürlich nicht wenig stolz. Sie scheuerte und putzte, buk und tischte auf. Und dann fing sie an, auf den lieben Gott zu warten.
Auf einmal klopfte es an die Tür. Geschwind öffnete die Alte, aber als sie sah, dass draußen nur ein armer Bettler stand, sagte sie: „Nein, in Gottes Namen, geh heute deiner Wege! Ich warte eben gerade auf den lieben Gott, ich kann dich nicht aufnehmen!" Und damit ließ sie den Bettler gehen und warf die Tür hinter ihm zu.
Nach einer Weile klopfte es von neuem. Die Alte öffnete diesmal noch geschwinder als beim ersten Mal. Aber wen sah sie draußen stehen? Nur einen armen alten Mann. „Ich warte heute auf den lieben Gott. Wahrhaftig, ich kann mich nicht um dich kümmern!" Sprach's und machte dem Alten die Tür vor der Nase zu.
Abermals eine Weile später klopfte es von neuem an die Tür. Doch als die Alte öffnete - wer stand da, wenn nicht schon wieder ein zerlumpter und hungriger Bettler, der sie inständig um ein wenig Brot und um ein Dach über dem Kopf für die Nacht bat. „Ach, lass mich in Ruhe! Ich warte auf den lieben Gott! Ich kann dich nicht bei mir aufnehmen!" Und der Bettler musste weiterwandern, und die Alte fing aufs Neue an zu warten.
Die Zeit ging hin, Stunde um Stunde. Es ging schon auf den Abend zu, und immer noch war der liebe Gott nicht zu sehen. Die Alte wurde im¬mer bekümmerter. Wo mochte der liebe Gott geblieben sein?
Zu guter Letzt musste sie betrübt zu Bett gehen. Bald schlief sie ein. Im Traum aber erschien ihr der liebe Gott. Er sprach zu ihr: „Dreimal habe ich dich aufgesucht, und dreimal hast du mich hinausgewiesen!"
Von diesem Tage an nehmen alle, die von dieser Geschichte erfahren haben, alle auf, die zu ihnen kommen. Denn wie wollen sie wissen, wer es ist, der zu ihnen kommt? Wer wollte denn gern den lieben Gott von sich weisen?

(Die Alte, die auf Gott wartete, Hoffsümmer Bd. 1, Nr. 8)

Wachsam leben

Diese Geschichte soll nicht lähmen: Das würde sie, wenn man nun hinter jedem Menschen und hinter jedem Ereignis, das auf einen zu kommt, krampfhaft nach Gott Ausschau halten würde. Man könnte seine tägliche Arbeit nicht mehr tun. Man würde dauernd nur Dinge und Menschen ängstlich anstarren: Hoffentlich habe ich nichts verpasst!
Der Hausherr in Jesu Gleichnis erwartet ja nicht, dass die Bediensteten alle mit gespitzten Ohren ängstlich hinter dem Hoftor in den Startlöchern sitzen, um ihn ja mitten in der Nacht nicht zu verpassen. Nein, sie sollen ihre Arbeit tun, für die sie im Haus zuständig sind. Ein jeder und eine jede an ihrem Platz. Aber sie sollen über dieser Arbeit und inmitten all dieser Alltagserledigungen wache Augen und wache Ohren und wache Herzen für überraschende Begegnungen und Gelegenheiten behalten.

Genauso braucht Gott uns im Alltag an den Orten, wo wir leben und arbeiten. Aber er schenke uns immer wieder neu die wache Bereitschaft, die damit rechnet, dass er uns mitten in diesem Alltag begegnen kann: in einem Ereignis oder in einem Menschen. Er begegnet uns. Er ruft uns auf, die Arbeit zu unterbrechen. Er ruft uns heraus.
Er schenke uns auch, dass wir dann diese Gelegenheiten nicht verpassen, sondern beherzt ergreifen.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de