Haben
Sie das auch gestern in der Tageszeitung gelesen
oder in den Medien vernommen: Tabak und Alkohol die
verbreitetsten Süchte
BERLIN. Die Deutschen sind beim Alkohol und
Tabakkonsum nach wie vor in der europäischen
Spitzengruppe. Insgesamt sei die Suchtproblematik
geprägt durch den Missbrauch von Tabak und
Alkohol, sagte der Vorsitzende der Deutschen
Hauptstelle für Suchtfragen, Jobst Böning in
Berlin. Gemessen an 140 000 vorzeitigen
Todesfällen durch Rauchen und 73 000 durch
Alkohol erhielten die 1500 Drogentoten jährlich
zu starke Aufmerksamkeit. Nach Schätzung der
Hauptstelle sind 6,8 Millionen Deutsche abhängig
vom Tabak und 1,6 Millionen vom Alkohol.
Und nun hören wir
heute eine Geschichte, wo Jesus mehr als 30
Hektoliter Wein produziert. Eine Geschichte, die
davon ausgeht, dass Menschen bei einem
Hochzeitsfest im allgemeinen so viel getrunken
haben, dass man ihnen am Ende den billigen Wein
vorgesetzt hat, weil sie das ja sowieso nicht
mehr gemerkt haben. Was sollen wir davon halten?
Ganz gewiss hat
Jesus mitgefeiert. Er hat bei diesem Fest sicher
nicht nur miesepetrig in der Ecke gesessen. Er
hat als strenggläubiger Jude sicher getanzt, so
wie Juden auch heute noch bei Festen tanzen. Er
hat gerne gegessen und getrunken. Ein Asket wie
Johannes war er nicht. Er hat nicht nur von
Heuschrecken und wildem Honig gelebt. Sonst wäre
die Kritik seiner Gegner sicher nicht ins
Evangelium geraten, er sei ein "Fresser und
Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und
Sünder". (Lk 7,34) Wie alle Kritik dürften
das zugespitzt und übertrieben sein. Aber der
Kern bleibt doch. Ich stelle mir vor, dass Jesus
das rechte Maß gekannt hat: Das rechte Maß beim
Trinken, beim Essen und auch beim Feiern. Aber so
eine Menge Wein und kein einziger kritischer Ton
zum Thema Alkohol und Maßlosigkeit?
Vielleicht hilft
das Ende der Geschichte weiter; der Satz, mit dem
der Evangelist Johannes das Geschehen
zusammengefasst hat: 11 Das ist das erste
Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in
Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit.
Und seine Jünger glaubten an ihn. Für den
Evangelisten Johannes ist diese ihm überlieferte
Geschichte also nicht so sehr eine Ess- und
Trinkgeschichte, sondern ein "Zeichen".
Ähnlich wie bei einem Wegweiser: Nicht er ist
wichtig, sondern die Richtung, die er zeigt. Die
Schrift, die Einzelheiten alles nicht so
wichtig. Aber alles möglichst deutlich und vor
allem möglichst groß, vielleicht sogar
übertrieben. Hauptsache, man weiß, wo's
hingeht. Wenn man dann angekommen ist, wo man hin
wollte oder sollte, darf man den Wegweiser
getrost wieder vergessen.
Deswegen kommt es
bei diesem Zeichen in Kana nicht in erster Linie
auf die einzelnen Ereignisse an. Ja, das Ganze
ist als Zeichen sicher zugespitzt und
übertrieben. Die offene Augen haben, sollen
gleich zu Beginn seines öffentlichen Wirkens auf
Jesus aufmerksam werden. "Und seine Jünger
glaubten an ihn." heißt es hinterher. Nicht
alle haben es also begriffen. Die da gefeiert
haben, die nur oberflächliche Bedürfnisse
hatten, die Stillung von Hunger und Durst, die
haben wohl gar nichts gemerkt. Die aber ein wenig
tiefer nachdenken, denen sollen die Augen
aufgehen. Denen wird (in der Sprache des
Johannes) die "Herrlichkeit Jesu
offenbart".
Zurück zum Fest:
Offenbar hat Jesus gar nichts dagegen, dass
Menschen feiern. Jesus liebte das Leben, auch
wenn er nicht krampfhaft an seinem eigenen Leben
festgehalten hat. Er liebte das Leben, deswegen
hat er anderen zum Leben verholfen. Er hat gesund
gemacht, körperlich und seelisch. Er hat
Ausgestoßene wieder in die Gemeinschaft
zurückgeholt. Und wo Hochzeit gefeiert wird,
sagt man ja zum Leben, ja auch zum werdenden
Leben.
Doch inmitten
allen Feierns geht es dem Evangelisten Johannes
im Kern um Jesus. Es geht ihn nicht um
menschliche Dinge wie Essen und Trinken, oder
auch das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn.
Nur so ist Jesu schroffe Antwort zu verstehen:
Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine
Stunde ist noch nicht gekommen. Was den rechten
Zeitpunkt angeht, hört Jesus nicht auf die
Stimme von Menschen, sondern nur auf die Stimme
seines Vaters im Himmel. Und: dass der Wein
ausgehen könnte, ist nicht einfach nur ein
hauswirtschaftliches Problem, sondern es geht um
eine tiefere Botschaft.
Ein Hochzeitsfest
damals war der größte Event, den man sich
vorstellen konnte. Es war wirklich Hoch-zeit in
der Urbedeutung des Wortes, hohe Zeit. Eine Woche
lange konnte man dem Alltag entfliehen. Hochzeit,
das war Leben und Feiern in Fülle. Und zum
Feiern, ja zu jeder Mahlzeit, gehörte damals
ganz selbstverständlich der Wein. "Der Wein
erfreut des Menschen Herz", sagt der Psalm
104 und lobt Gott als Schöpfer dafür. Oder wie
wir von Martin Luther im Gesangbuch S. 602 lesen
können: Darf unser Herr Gott gute große Hechte,
auch guten Rheinwein schaffen, so darf ich sie
wohl auch essen und trinken. Warum nicht, sagt
Johannes. Wichtig ist nur, dass Menschen, die auf
der Suche nach dem Leben, nach dem Leben in
Fülle sind, dabei nicht an diesem Jesus vorbei
können und vorbei sollen.
Nichts gegen das
Feiern. Nichts gegen den Genuss. Nichts gegen das
Tanzen. Nichts gegen den Alkohol in
Maßen. So könnte man mit Johannes sagen. Aber
wenn jemand auf diesem Weg das Leben und den Sinn
finden will, ist er auf dem Holzweg. Das Feiern
bis zum Abwinken mag eine Nacht lang Leben und
volle Dröhnung bedeuten, aber es hinterlässt
doch nur einen Kater. Oder es führt im
äußersten Falle zu den eingangs genannten
200.000 frühzeitigen Todesfällen pro Jahr. Oder
im Extrem auch das andere, was wir vergangene
Woche in der Zeitung lesen konnten: Viele suchen
das Leben, indem sie einen immer neuen Kick
suchen. Wenn Bunjee-Jumping oder das neueste
Fahrgeschäft auf dem Frühlingsfest den
Blutdruck nicht mehr steigern können, muss man
Gletscher herunterrasen oder mit Fahrrädern
durch Bob-Bahnen fahren. Und wenn dann alles
durchprobiert ist, dann gibt es den letzten Kick
vielleicht, wenn man in satanistischen Ritualen
quält und zum Herrn über Leben und Tod wird. So
hat zumindest ein Experte versucht, das
Unbegreifliche verstehbar zu machen.
Tragen wir in den
Gemeinden und Kirchen, tragen wir als Eltern oder
Vorbilder nicht auch einen Teil der Schuld? Wir
schaffen es offenbar nicht, unseren christlichen
Glauben als einen Weg aufzuzeigen, auf dem man
das ganze Leben finden kann. Wir müssen die
Jugend noch mehr gewinnen. Wir müssen
einladender werden. Unsere Gottesdienste müssten
wohl auch mehr Freude ausstrahlen und wie ein
Fest sein. Jesus ist ein Liebhaber des Lebens.
Davon müssten wir wohl einfach mehr erzählen.
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