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Die Predigt |
Auf einem Berg
Gott näher?
Kann man in einem Mittelgebirge oder in einem Hochgebirge Urlaub machen
oder wandern, ohne einen oder mehrere Gipfel zu ersteigen? Oder denken
Sie an die kleineren oder größeren Gipfel unserer fränkischen
Umgebung. Ochsenkopf, Schneeberg, Neubürg, Kordigast, Staffelberg
…
Was macht Berge so anziehend? Man steht im wahrsten Sinne des Wortes
über den Dingen – manchmal sogar über den Wolken,
wenn sie tief hängen. Man gewinnt einen anderen Blick. Und da
ist auch ein wenig Stolz, dass man es geschafft hat.
Viele fühlen sich auf Bergen Gott näher – auch wenn
wir wissen, dass Gott nur bildlich gesprochen oben ist. Nicht umsonst
tragen die meisten Berge ein Gipfelkreuz. Sie sind so etwas wie ein
heiliger Ort – auch für manchen Menschen, der nicht an
Gott glaubt.
Das gehört aber auch zu den Bergen: Man muss wieder runter. Man
kann nicht oben bleiben. So schön es da oben sein mag: Man muss
wieder in den Alltag zurück.
Die Berge der Bibel
Auch von Jesus wird erzählt, dass er die Bergeinsamkeit gesucht
hat. Immer wieder einmal entfloh er der Menge, die so viel von ihm
erwartete, um mit Gott allein zu sein.
Dem Propheten Elia ist Gott am Berg Horeb begegnet, nachdem er des
Lebens müde war. Und dort auf dem Berg entdeckt und erlebt er
Gott ganz überraschend: nicht in Sturm und Erdbeben, sondern
in einem leisen zarten Wind.
Mose begegnet Gott auf dem Berg Sinai und empfängt dort die Gebote.
Als er vom Berg herabkommt, leuchtet sein Gesicht. Die Begegnung mit
Gott hat ihn verwandelt.
Die Jünger und Jesus auf dem Berg
Das alles mag den drei Jüngern damals beim Anstieg durch den
Kopf gegangen sein, als sie mit Jesus auf dem Weg zum Gipfel waren.
Sonst war Jesus immer allein. Damals nahm er die drei engsten Jünger
mit: Petrus, Jakobus und Johannes.
„Und nach sechs Tagen ..." So beginnt die Erzählung.
Was war sechs Tage zuvor? Jesus hat sich mit seinen Jüngern auf
den Weg nach Jerusalem gemacht und sie zum ersten Mal auf das kommende
Leiden vorbereitet. Kurz vorher hatte er sie noch gefragt: Für
wen haltet ihr mich? Was erwartet ihr von mir? Und Petrus hatte geantwortet:
Du bist der Christus. Kein Wunder, dass Petrus hin und her gerissen
war: Messias und Leiden. Wie passt das zusammen? Wer ist dieser Jesus?
Und dann darf Petrus zusammen mit Jakobus und Johannes für einen
Moment diese andere Seite an Jesus sehen. Eine Seite, die man eigentlich
nicht sehen kann. Eine Seite, die offenbar nicht für die Menge
bestimmt war. Er wurde „verklärt", so übersetzt
Martin Luther. Er wurde vor ihnen verwandelt, so heißt es wörtlich.
Die Jünger blicken für kurze Zeit in eine andere Welt, in
eine andere Dimension. Sie erleben Jesus im Licht, so wie auch Gott
im Licht ist. Sie fallen zu Boden. Im Alten Testament fallen alle
zu Boden, die Gott begegnen. Sie erleben, so könnte man es sagen,
ein vorgezogenes Ostern.
Die schönsten Momente festhalten
Bei der Taufe Jesu – Sie war Predigttext vor drei Wochen. –
konnte offenbar nur Jesus die Himmelsstimme hören, in der sich
Gott zu ihm bekennt. „Das ist mein lieber Sohn. Den sollt ihr
hören.“ Nun erfahren es auch die engsten Jünger. Gott
bekennt sich zu dem, der dann wieder vom Berg herab ins Leiden muss.
Diesen Moment müsste man festhalten können, denkt Petrus
offenbar. Er möchte die Gottesnähe nicht loslassen. Er möchte
sozusagen die Leidensankündigung von vor sechs Tagen ungeschehen
machen und Jesus auf dem Berg festhalten. „Lasst uns Hütten
bauen für dich, für Mose und Elia. Bleibt da.“
Aussteigen, so würde man es heute vielleicht sagen, möchte
Petrus am liebsten. Nicht mehr in die Welt am Fuße des Berges
zurück. Nicht mehr zurück auf den Weg, dessen Ende Jesus
so unmissverständlich angekündigt hat.
Solche Lichtblicke, solche Gipfelsituationen, wer möchte sie
nicht festhalten wollen? „Verweile doch, du bist so schön."
lässt Goethe seinen Dr. Faust zum Augenblick sagen. Da mag jede
und jeder an andere Momente und Situationen denken:
Vielleicht wörtlich und real auf einem Berg oder bei einem anderen
eindrücklichen Naturerlebnis. Aber auch bei der Geburt eines
Kindes. Beim Zusammensein mit einem geliebten Menschen. Beim intensiven
Hören auf eine Musik. Beim Lesen in einem Buch, über dem
man Zeit und Welt vergisst. In einem eindrücklichen Gottesdienst.
In Gebet und Meditation.
Momente der Gottesbegegnung
Man kann solche Lichtblicke und Gipfelsituationen, man kann solche
eindrücklichen Erlebnisse nicht machen. Man kann sie sich nur
schenken lassen. Aber dennoch: Wenn jemand nicht auf einen Berg steigt,
wie will er erleben, wie das auf dem Gipfel ist?
Genauso auch im Glauben: Wer die Einsamkeit des Berges, auf den Jesus
sich öfter zurückgezogen hat, nie sucht, wer nie die Stille
und Abgeschiedenheit sucht, der wird auch im Glauben manches nicht
erleben können. Der wird nicht nachvollziehen können, was
andere meinen, wenn sie z.B. von Meditation reden.
Für mich persönlich ist ganz entscheidend gewesen, was Jörg
Zink in unserem Gesangbuch auf Seite 1443 schreibt:
„Die großen Lehrer der Meditation und des geistlichen
Lebens weisen uns immer wieder auf die erste Morgenstunde hin und
sagen: Nimm den Anfang des Tages wahr, er ist die Stelle, an der du
die Ewigkeit berührst. In der Tat wäre uns in vielen Nöten
und Krankheiten des Leibes und der Seele geholfen, wenn es uns gelänge,
die erste Morgenröte von Eile, von Lärm und Ärger freizuhalten.
Der Lauf des Tages hängt im allgemeinen nicht von unseren persönlichen
Vorstellungen ab. Er wird uns aufgezwungen. Aber der Anfang sollte
uns gehören.“
Vom Gipfel in die Niederungen
Oben möchte sie bleiben, die drei Jünger. Und dann rührt
sie Jesus an. Er rüttelt sie und holt sie sozusagen wieder in
die Realität zurück. Und auf einmal sehen sie nur noch ihn
allein.
Warum schärft ihnen Jesus ein, sie sollten das Erlebte nicht
weitererzählen? Wäre es nicht gut, wenn die ganze Welt wüsste,
wer er ist? Nein, sie sollen diese Gipfelerfahrung für sich behalten.
Zuerst einmal wohl, weil man das gar nicht kann: Man kann anderen
nicht angemessen von den eigenen Gipfelerfahrungen erzählen,
wenn sie nicht selbst dabei gewesen sind bzw. ähnliche eigene
gemacht haben. Sie werden einen eher für ein wenig verrückt
oder spinnert halten.
Aber der eigentliche Grund ist wohl, dass die Jünger und auch
Jesus vorerst nicht oben bleiben können: Bevor die Herrlichkeit
Jesu endgültig offenbar wird, muss er erst durchs Leiden, und
sie müssen mit. Sie brauchen aber diese Gipfelerfahrung und diesen
Lichtblick, um das kommende Unvermeidliche besser bestehen zu können.
Das scheint mir der tiefere Sinn der Gipfelerfahrungen: Man kann sie
nicht festhalten, aber sie prägen das weitere Leben. Wer solche
Erfahrungen gemacht hat, der weiß, dass das Irdische und Vordergründige
nicht alles ist.
Gott ist auch in den Niederungen
Und sie haben es wirklich gebraucht, die drei: Denn als sie vom Berg
herabkommen, werden sie umgehend knallhart mit dem Leid der Welt konfrontiert:
Die unten zurück gebliebenen Jünger warten sehnsüchtig
auf sie und Jesus, weil sie dem epileptischen Jungen – „mondsüchtig“
übersetzt Luther – nicht haben helfen können.
Verzweifelt hat der Vater erzählt, dass er durch seine Krankheit
immer wieder unvermittelt umfällt, und oft ins offene Feuer oder
ins Wasser. So traurig dieses Kinderschicksal ist: Diese Fortsetzung
der Verklärungsgeschichte ist in meinen Augen sehr tröstlich.
Sie darf nicht weggelassen werden, weil man sonst nur die halbe Wahrheit
hat: Nicht nur in den Gipfelerlebnissen und in den Lichtblicken ist
Gott zu finden, sondern auch und besonders in den Niederungen und
Tiefen des Alltags und dort, wo menschliche Macht an ihr Ende kommt:
Jesus hilft, wo seine Jünger nichts ausrichten.
„Bleib bei uns, Herr, verlass uns nicht, führ uns durch
Finsternis zum Licht, bleib auch am Abend dieser Welt als Hilf und
Hort uns zugesellt.“ |
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