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predigt[e].de

Die Predigt vom 1. März 2009 (Invokavit):
»Sich selbst begegnen«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag Invokavit, den 1. Sonntag in der Passionszeit. Sein Thema ist die Versuchung. Evangelium (1. Lesung) und auch Predigttext (s.u.) war die Versuchung Jesu und Epistel (2. Lesung) der Hinweis des Hebräerbriefs, dass auch Jesus Versuchung nicht fremd war.
Predigttext
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Der Predigttext
4 1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. 4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«
5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11.12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« 7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« 8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. 10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Predigt
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Die Predigt
Die Versuchung Jesu – auch unsere?

Die Versuchung Jesu ist erst einmal nur die Versuchung Jesu. Wir sind nicht Jesus. Wir können das Gehörte nicht zu schnell auf uns übertragen. Aus Steinen Brot machen. Die Herrschaft über die Welt angeboten bekommen. Voller Gottvertrauen vom Turm der Stadtkirche herabspringen. Und dennoch hat das alles auch mit uns zu tun, weil auch wir Versuchungen und Verlockungen kennen. Weil auch vor uns der Einflüsterer nicht Halt macht.
1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat zu ihm.
Jesus soll, kaum hat er mit der Taufe seinen Weg begonnen, diesem Weg gleich wieder untreu werden. Jesus weiß inzwischen, was seine Sendung, was seine Bestimmung ist: Er soll mit seinem Leben ganz für die Menschen da sein. Und sofort kommen die Einflüsterungen: Willst du nicht auch etwas für dich selber tun? Hast du nicht auch berechtigte Bedürfnisse? Darfst du nicht auch einmal im Mittelpunkt stehen?

Jesus – ganz Mensch

Diese Aufgabe Jesu, diese seine Sendung, sich ganz auf Gott zu verlassen und ganz für die Menschen da zu sein, die ist so einmalig, dass wir sie nicht einfach auf uns übertragen können.
Weil uns Jesus aber hier durch und durch als Mensch geschildert wird, weil Versuchung etwas zutiefst Menschliches ist, hat sie dann doch auch etwas mit uns zu tun. Mit einem deutlichen und entscheidenden Unterschied jedoch: Jesus hat allen Versuchungen widerstanden. Wer könnte das von sich sagen? Wer könnte für sich selber die Hand ins Feuer legen?

Ich glaube, das Geheimnis dieser Versuchungsgeschichte – für Jesus und für uns – liegt im Beginn und im Schluss:
2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Jesus fastet. Das heißt, er kann loslassen, er kann verzichten, er muss nicht alles haben.
11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Und weil Jesus auf alles verzichtet, weil er es sich nicht eigenmächtig nimmt, obwohl er gekonnt hätte, bekommt er am Ende von Gott alles, was er braucht. Und er entbehrt nichts.
Aber von vorne:

Wüstenerfahrungen

1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
Der Weg Jesu beginnt mit der Wüste und mit dem Fasten. Sein Weg beginnt also mit zwei entscheidenden Fragen: Kannst du auch mit dir selbst alleine sein? Und: Was brauchst du wirklich zum Leben?
Im Alleinsein und beim Fasten, da kann ein Mensch sich selber entdecken. Ja, vielleicht kann er sich nirgends besser entdecken. Nicht umsonst meiden viele Menschen beides, denn was man da entdecken kann, ist nicht immer einfach und angenehm.
Das Alleinsein durch eine erzwungene Bettruhe z.B., im Krankenhaus oder zu Hause: heraus aus dem Alltag, der sonst geordnet ist von früh bis abends, der keine Zeit zum tieferen Nachdenken lässt. Auf einmal sind da alle Gedanken, die sonst verdrängt sind.
Man kann ihnen ausweichen oder man kann sich ihnen stellen. Man kann ihnen ausweichen, indem man sie betäubt oder indem man den Fernseher einschaltet, der sie schnell wieder vertreibt. Oder es können Menschen kommen, die einen „auf andere Gedanken bringen", wie es so schön heißt. Obwohl es doch in Wirklichkeit viel hilfreicher gewesen wäre, wenn man sich ihnen endlich einmal gestellt hätte.

Fastenerfahrungen

Und auch beim Fasten kann man sich selber entdecken. Viele fasten nicht, weil sie sagen: „Ich bin doch nicht abhängig. Was soll ich mir beweisen?" „Selbstverständlich könnte ich jederzeit mit dem Rauchen aufhören, wenn ich wollte. Aber ich will nicht." „Jederzeit käme ich ohne Alkohol aus. Aber warum sollte ich?" „Jederzeit könnte ich einmal für einen Tag den Fernseher aus lassen. Ich brauche ihn nicht. Jederzeit könnte ich einmal für einen Tag die Finger von den Süßigkeiten lassen usw."
Aber die heimliche Angst im Hintergrund ist doch: „Ja, wenn ich es jetzt wirklich einmal probieren würde, und ich würde merken, wie schwer es mir fällt, oder dass ich es gar entgegen meiner großspurigen Ankündigungen nicht durchhalten kann, was würde ich da möglicherweise von meinen eigenen Untiefen und meinen schwachen und dunklen Seiten entdecken!"

Wer bin ich? – Sich selbst begegnen

Beim Alleinsein und beim Fasten, ja da begegnet man sich wirklich. Und das ist das Problem: Man begegnet auf einmal einem, von dem man meinte, man kennt ihn. Und auf einmal begegnet manche einem Fremden.
„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ So heißt der Titel eines derzeitigen Bestsellerbuches. Es hat etwas gemein mit einem anderen Bestseller der letzten Jahre: Hape Kerkelings Jakobswegbuch „Ich bin dann mal weg.“ Wer bin ich? Dieser Frage kann niemand ausweichen, der sich allein mit sich selbst und Gott auf den Weg macht. Wer bin ich? Wem begegne ich da? Was entdecke ich von mir und an mir, was mir neu, ja vielleicht fremd ist?

Allein sein macht verletzlich. Fasten macht verletzlich. Es macht angreifbar. Jesus begegnet, wie es die Geschichte sagt, dem Teufel: Wer mit sich allein unterwegs ist, wer fastet, der begegnet auch der Versuchung. Der begegnet seinen eigenen Grenzen. Der begegnet seinen schwachen Stellen. Der begegnet den Einflüsterungen.

Das ist das Wesen der Versuchung: Es lässt sich jemand reizen und hinreißen, etwas zu tun, was er hinterher bereut. Versuchung denkt nur an den Moment, denkt nur an das Jetzt, an die unmittelbare Befriedigung, und vergisst die Folgen.
Versuchung ist der Reiz, den rechten Weg, den man eigentlich kennt, zu verlassen. Man kennt ja den rechten Weg: Man weiß, was mein und dein ist. Man weiß, was wahr und was falsch ist. Man weiß, wem man die Treue versprochen hat. Man weiß, was einem gut tut und was einem schadet. Aber der Versucher, diese schmeichelnde, honigsüße Stimme von innen oder von außen, diese Stimme, die genau meine Schwächen kennt, die den Nagel auf den Kopf trifft, die will auf einmal nicht verstummen.

Das Wesen der Versuchung

In dreifacher Weise trifft Jesus diese Versuchung: Es ist die Versuchung, sich mit äußerer Sattheit zufrieden zu geben. Es ist die Versuchung, als Showstar im Mittelpunkt zu stehen. Und es ist die Versuchung der Macht.
Natürlich hätte Jesus aus Steinen Brot machen können. Aber er hätte doch nur egoistisch seine eigenen Bedürfnisse befriedigt und die Menschen, also seinen eigentlichen Auftrag, darüber vergessen.
Natürlich hätte ihn Gott beim Sprung von der höchsten Stelle der Tempelmauer nicht ins Bodenlose fallen lassen. Aber es wäre doch nur eine nutzlose Show gewesen.
Natürlich hätte sich Jesus alle Reiche der Welt nehmen können. Aber er hätte dabei nur an sich gedacht und darüber Gott und die Menschen vergessen.

Und so ist wahrscheinlich auch für uns der Kern jeder Versuchung der Egoismus: Schauen, wie es uns am besten geht, wie wir am besten voran kommen, wie wir nicht zu kurz kommen, wie wir unser Schäfchen ins Trockene bringen. In dieser Frage ist wahrscheinlich der Versucher am deutlichsten zu hören: „Wenn du es dir nicht nimmst, wer gibt es dir denn? Und wenn du nicht für dich sorgst, meinst du, die anderen tun es für dich?"

Gott enthält mir nichts vor

Gegen diese fiese Stimme hilft nur Gottvertrauen. Nicht aus eigener Kraft besiegt Jesus die Versuchung, sondern im Blick auf Gott:
„Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.“

Gott gibt mir, was ich brauche, deswegen brauche ich es mir nicht zu nehmen. Gott lässt mich nicht fallen, deswegen muss ich seine Macht nicht herausfordern. Gott enthält mir nichts vor, deswegen kann ich ihn meinen Herrn sein lassen.
„Du schenkst uns Zeit! Wir wollen sie gestalten, als dein Geschenk in unsern Händen halten. Herr, lass uns stille werden, dass wir sehn: Du willst zu aller Zeit mit uns durchs Leben gehn." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de