„Wir
halten den Himmel offen“
"Wir
halten den Himmel offen." Wäre das nicht ein gutes Motto
für die Arbeit der Kirchen, für die Arbeit ihrer Pfarrerinnen
und Pfarrer? Aber nein, es ist ein Werbespruch der Lufthansa. Bei
der Öffentlichkeitsarbeit ist die Wirtschaft uns Kirchen halt
immer noch weit voraus.
"Wir halten den Himmel offen." Der Spruch gefällt
mir und so nehme ich ihn der Lufthansa ohne schlechtes Gewissen
und ohne Angst vor dem
Urheberrecht weg: Die meinen den Himmel mit den Wolken, der wegen
der vielen Flugzeuge schon lange nicht mehr so richtig blau und
offen ist. Ich meine den Himmel Gottes. Wir halten den Menschen
den Himmel offen. Ja, das tun wir in der Kirche. Das tun wir im
Gottesdienst.
Jesus
hat den Himmel geöffnet
Wohl
bemerkt: Geöffnet haben wir den Himmel nicht. Das war jemand
anders. Aber wir halten ihn den Menschen offen. So verstehe ich
die Epistel aus dem Brief an die Hebräer, die Sie vorhin gehört
haben:
14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus,
den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns
festhalten an dem Bekenntnis. 15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester,
der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern
der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.
16 Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade,
damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit,
wenn wir Hilfe nötig haben.
14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus,
den Sohn
Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten
an
dem Bekenntnis.
Wir tun uns vielleicht auf Anhieb schwer. Die Leser des Hebräerbriefes
jedoch konnten mit dem Begriff Hoherpriester etwas anfangen, positiv
etwas anfangen: Er war im Judentum der Mittler zwischen Gott und
den Menschen. Nur er konnte sich Gott nahen. Nur er durfte ins Allerheiligste
des Tempels. Nur über ihn als Mittler konnten die Menschen
sich Gott nahen. Der "große" Hohepriester ist Jesus,
sagt der unbekannte Schreiber des Hebräerbriefs nun, also der,
der endgültig und letztgültig zwischen Mensch und Gott
vermittelt hat. Der selber in Mitte getreten ist und beide wieder
zusammen gebracht hat. Der den Menschen den direkten Zugang zu Gott
eröffnet hat, der ihnen den Himmel geöffnet hat, dass
sie nun keinen Hohenpriester mehr brauchen.
Der Mensch hat sich den Himmel verschlossen
Die
Versuchung, so lesen wir in der Geschichte von Adam und Eva, vom
Apfel und von der, die Versuchung hat Gott und Menschen getrennt,
hat dem Menschen den Himmel verschlossen: Im Paradies waren beide
noch
zusammen. Das "Sein wollen wie Gott" hat sie getrennt.
Aus eigener Kraft findet der Mensch nun nicht mehr den Weg zu Gott.
Er braucht einen
Vermittler. Es muss jemand die Brücke bauen. Das war Jesus,
so heißt es hier, Jesus der die Himmel durchschritten hat:
Man stellte sich im Judentum einen siebenstöckigen Himmel vor.
Durch alle diese Himmel ist Jesus hindurchgeschritten. Als Wanderer
zwischen den Welten hat er den Himmel verlassen und sich auf den
Weg zu den Menschen gemacht.
Jesus, der Sohn Gottes. Mit anderen Worten: Gott selber hat sich
in Jesus auf den Weg zu den Menschen gemacht. Gott selber hat seinen
Himmel
verlassen und uns Menschen den Himmel geöffnet. Bei Jesu Tod,
so lesen wir in der Passionsgeschichte, sei der Vorhang vor dem
Allerheiligsten mitten durch gerissen.
Jesus hat die Himmel durchschritten. Das gilt nun nicht nur für
sein Herabkommen, sondern auch für die Gegenrichtung: Der Auferstandene
hat bei seiner Himmelfahrt den Weg zum Vater, den Weg zu Gott gebahnt.
Der Himmel ist offen für den, der sich an ihn hält und
sich ihm nach auf den Weg macht.
Pfarrerinnen können den Himmel offen halten
Liebe
Frau Hötzel! Priesterin sein, Mittlerin sein zwischen Gott
und den Menschen, den Menschen den Himmel offen halten. Eine von
mehreren Seiten des Pfarrerberufes. Ich vermute, Sie würden
sich so nicht in erster Linie charakterisieren. Lieber sind Sie
gemeinsam mit den Menschen auf dem Weg, nicht herausgehoben.
Richtig
ist: Hoherpriester und einmaliger Mittler zwischen Gott und Mensch
war nur Jesus. Und so spricht uns in der evangelischen Kirche auch
niemand als Priesterin oder Priester an. Und doch suchen die Menschen
auch heute noch Mittlerinnen und Mittler, wenn sie selber den Weg
zu Gott nur noch schwer finden. Menschen, die ihnen den Weg zu Gott
zeigen und sie wieder mit ihm zusammenbringen.
Der Münchner Theologieprofessor Michael Schibilsky, der am
Aschermittwoch den Gottesdienst in der Stadtkirche und am Nachmittag
einen Vortrag im Evangelischen Gemeindehaus gehalten hat, hat sinngemäß
gesagt: Menschen rechnen ganz selbstverständlich damit, dass
wir als Pfarrerinnen und Pfarrer mit Gott reden. Dass wir auch stellvertretend
für die reden, die das selber nicht mehr können. Dass
wir andere mit ihrer Not priesterlich vor Gott bringen. Dass Menschen
in uns einen Fürsprecher haben.
Pfarrerinnen und Pfarrer können und brauchen den Menschen den
Himmel nicht zu öffnen. Das ist durch Jesus geschehen. Aber
sie können sozusagen den Menschen den Himmel offen halten.
Mit
leiden, nicht Mitleid haben
15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte
mit
leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist
in
allem wie wir, doch ohne Sünde.
Der beste Zuhörer und Seelsorger, so höre ich es immer
wieder, ist, wer ähnliches schon erlebt hat. Und das gilt nicht
nur für Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern für alle, die
als Besuchsdienst, als Gemeindeglieder und Nachbarn ein offenes
Ohr für jemand haben. Menschen mit gleichem Schicksal gehen
aufeinander zu. Sie fühlen sich verstanden. Sie fühlen
sich ernst genommen. Sie werden nicht mit billigem Trost abgespeist.
So ähnlich hier im Hebräerbrief: Jesus ist der rechte
Hohepriester, der rechte Mittler, weil er ganz Mensch war und auf
der Seite der Menschen steht, weil er selber Versuchung erlebt hat.
Das erinnert an das vorhin gehörte Evangelium, wo Jesus der
Versuchung der Macht und der Sattheit widersteht. Das erinnert an
die größte aller menschlichen Versuchungen, vor der auch
er nicht gefeit war: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?"
Der rechte Hohepriester und der rechte Mittler ist er, weil er diesen
Versuchungen nicht erlegen ist und Gott nicht weggeworfen hat. Damit
ist er Vorbild und Ansporn für alle, die an Gott zweifeln.
Und: Der rechte Mittler ist er auch, weil er wirklich mit leidet.
Mitleid haben und mit leiden sind zwei verschiedene Dinge. Auch
da, so meine ich, sind wir alle als Christen, aber speziell auch
als Pfarrerinnen und Pfarrer gefordert. Da sein, wo die Menschen
sind, mit ihnen gehen, mit ihnen leiden, sie in ihren Häusern
und an ihren Krankenbetten nicht alleine lassen. Das haben Sie in
unserer Gemeinde getan, liebe Frau Hötzel. Dafür sage
ich Ihnen Dank. Sie sind den Menschen und dem Leid nicht ausgewichen.
Menschen den offenen Himmel zeigen
Den
Menschen den Himmel offen halten. Das bedeutet auch, ihnen zu sagen,
wohin sie sich wenden können, wenn sie Hilfe brauchen. Der
abschließende Vers des Predigttextes:
16 Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der
Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der
Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.
Darum lasst uns hinzutreten: Wir können direkt und unmittelbar
zu Gott kommen. Weil Gott selber in Jesus uns nahe gekommen ist,
weil der
Vorhang zum Allerheiligsten symbolisch zerrissen ist, braucht es
keinen Hohenpriester mehr, über dessen Vermittlung wir uns
Gott nahen dürfen.
Zum Thron der Gnade dürfen wir hintreten: Zu Gott selbst ist
gemeint, zu Jesus, in dem Gott uns nahe gekommen ist, und der wieder
zu Gott
gegangen ist.
Wo finden wir den Thron der Gnade, wo finden wir Gottes Nähe
und Anwesenheit: Wir finden sie im Gottesdienst, in Lied, Gebet,
Meditation und Abendmahl.
Im Gottesdienst ist Gott nah und der Himmel ist offen für den,
der Hilfe braucht. Lasst uns zusammen den Himmel offen halten für
die, die Gott suchen. |