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Die Predigt |
Was würde
Jesus tun?
Armbänder mit den vier Buchstaben W.W.J.D. sind in bestimmten
christlichen Kreisen sehr in Mode. W.W.J.D., das ist in Amerika eine
richtige Jugendbewegung. W.W.J.D.: „What would Jesus do?"
„Was würde Jesus tun?" Es geht um die Frage, wie ich
mich hier und heute in meinem Leben als Christ in einer konkreten
Situation verhalten sollte. Die Bibel ist ja nicht wie ein Kochbuch,
in dem für jede denkbare Situation die richtige Antwort zu finden
ist. Die Zeiten haben sich gewandelt seit 2000 Jahren. Viele unserer
heutigen Fragen kannte man in biblischer Zeit nicht. Deswegen sind
Christen zum Nachdenken eingeladen und aufgefordert: Wie hätte
Jesus, wie wir ihn aus den Evangelien kennen, vielleicht in diesem
Fall reagiert?
Vor 25 Jahren starb Pfarrer Martin Niemöller. In kirchlichen
Zeitungen wurde deswegen in der letzten Woche an ihn erinnert. Sechs
Jahre verbrachte er im Konzentrationslager und im Gefängnis wegen
seines Widerstandes in der Zeit des Dritten Reiches. Nach dem Krieg
war er maßgeblich am Wiederaufbau der Kirche beteiligt. Er wollte
für all das nicht gelobt werden, weil er als ehemaliger U-Boot-Kommandant
anfangs Sympathien für die Nationalsozialisten hatte. Sein Lebensmotto
war: „Was würde Jesus dazu sagen?“
Was ist Nachfolge?
„What would Jesus do?" Handeln, wie Jesus vielleicht gehandelt
hätte. Heute in seinem Namen handeln und das Richtige tun.
„Was würde Jesus dazu sagen?“ Heute im entscheidenden
Moment mutig den Mund aufmachen.
Um diese Frage geht es bei der sog. „Nachfolge". Sie ist
das Thema des heutigen Sonntags Okuli. Was ist Nachfolge? Was bedeutet
das heute: Jesus nachfolgen. Hinter ihm her gehen. Auf seinen Wegen
gehen. In seinem Namen handeln.
Damals zur Zeit Jesu war Nachfolge ganz einfach wörtlich zu verstehen.
Nachfolge war Nach-folgen, Hinterhergehen: Menschen schließen
sich dem Wanderprediger Jesus an und folgen ihm ganz wörtlich.
Menschen, die von ihm oder durch ihn Großes erlebt hatten. Menschen,
die gesund geworden waren. Menschen, die von seinen Worten im Innersten
getroffen waren. Sie verlassen ihre Familie, ihre Heimat, ihren Beruf.
Leichter konnte man damals Nachfolge nicht haben. Leichter konnte
man diesen Jesus nicht haben.
Wissen, worauf man sich einlässt
Deswegen sagt Jesus auch in dem ersten Beispiel, das wir im Evangelium
gehört haben, zu dem jungen Mann, der sich anbietet, ihm zu folgen:
„Bist du dir auch bewusst, worauf du dich einlässt, wenn
du mir nachfolgen willst? Weißt du, was du damit alles aufgeben
wirst? Der Fuchs hat seinen Bau und der Vogel sein Nest. Aber ich
weiß am Morgen noch nicht, ob und wo ich am Abend ein Dach über
dem Kopf haben werde." Wir wissen nicht, wie diese erste der
drei genannten Begegnungen ausgegangen ist.
„Weißt du, worauf du dich einlässt." Diese Frage
ist wichtig und wird auch heute denen gestellt, die in einen Orden
oder eine andere verbindliche christliche Gemeinschaft eintreten wollen.
Es gibt erst einmal eine mehrjährige Probezeit. Es wird reiner
Wein eingeschenkt, damit nicht später jemand kommt und sagt:
„Ihr habt mich in meiner ersten religiösen Begeisterung
eingefangen. Was da alles auf mich zukommt, konnte ich nicht überschauen.“
Sich ganz und gar einlassen
Diesem Jesus nachzufolgen hieß damals aber auch, sich mit voller
und ungeteilter Aufmerksamkeit in seinen Dienst zu stellen. In seiner
Nachfolge bekamen die alltäglichen Dinge einen anderen Wert.
Was vorher unverzichtbar gewesen sein mochte, hatte nun angesichts
der neuen Aufgabe keine Bedeutung mehr. So sagte Jesus im zweiten
Beispiel dem Mann, der ihm folgen sollte, aber zuvor noch seinem Vater
den letzten Liebesdienst erweisen wollte, dieses erschreckende Wort:
„Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige
das Reich Gottes."
Und noch ein dritter bietet Jesus die Nachfolge an. Doch auch er sagt:
„Ja, aber." „Ja, ich will dir nachfolgen, aber vorher
muss ich noch einmal nach Hause, um es meiner Familie zu erklären
und mich zu verabschieden." Auch ihm sagt Jesus genauso radikal:
„Bei mir gibt es kein 'ja aber’. Wenn du in meinen Dienst
treten willst, dann sofort und ganz. Du brauchst die ganze, ungeteilte
Aufmerksamkeit. Denk an den Bauern: Wenn er pflügt, muss er beide
Hände am Pflug habe und nach vorne schauen. Wenn er sich umdreht
und nach hinten schaut, wird er unweigerlich krumme Furchen ziehen."
Ist das nicht radikal und weltfremd?
„What would Jesus do?" Heute so handeln, wie Jesus vielleicht
gehandelt hätte. Heute seine Worte in die Tat umsetzen. Das klingt
eigentlich ganz einfach. Aber gerade bei solchen Jesuserzählungen
spüren wir, wie schwierig es umzusetzen ist, wenn man es wörtlich
nimmt.
Wir – so sage ich einmal vereinnahmend zu Ihnen als Gottesdienstbesucher.
Wir wollen Christen sein. Wir wollen Jesus nachfolgen. Aber wir leben
fast alle in einer Familie. Die noch nicht im Ruhestand sind, haben
ihren Beruf. Wir haben ein festes Dach über dem Kopf. Wir gehen
auf den Friedhof und ehren die Verstorbenen. Und wir denken nicht
im Traum daran, das alles für Jesus aufzugeben. Oder?
Und als Lutheraner könnten wir sagen: Sogar Martin Luther hat
sich ja mit einem großen Fest von seinen Freunden verabschiedet,
bevor er ins Kloster ging.
Wie sollen wir also umgehen mit solchen radikalen Jesusworten, wie
wir sie heute gehört haben?
Die einfachste Möglichkeit wäre, zu sagen: „Was Jesus
hier diesen drei jungen Männern sagt, ist zeitbedingt. Es galt
für die Menschen damals, als er noch lebte. Da gab es Nachfolge
im wörtlichen Sinn. Und vor allem: Man war damals davon überzeugt,
dass die Welt bald zu Ende gehen und Gott erscheinen werde. Da konnte
man radikaler sein." Da ist etwas Wahres dran. Doch wenn es so
einfach wäre, könnten wir die 2000 Jahre alte Bibel ja gleich
auf die Seite schieben oder uns nur das herauspicken, was uns gefällt.
Oder man könnte sagen: „Diese Zumutung, mit Gott ganz Ernst
zu machen bis hin zur Aufgabe des Liebsten, was man hat, die gilt
zwar noch, aber doch nur für wenige ausgesuchte Christen. Auch
damals war die Jüngerzahl ja begrenzt. Nicht jeder muss ein Albert
Schweitzer, ein Martin Luther King oder eine Mutter Teresa sein."
Auch da ist etwas Wahres dran. Aber immer noch würden wir uns
dadurch dieses Evangelium vom Leib halten, indem wir sagen, es gilt
für andere, aber nicht für uns.
Gegen die wortwörtliche Befolgung der Bibel
Nein, ich meine, so ernst will unsere Bibel, so ernst will Jesus genommen
werden, dass das Gesagte auch heute noch dir und mir gilt. Da liegt
für mich der Weg zu einer Lösung: Es geht, wie es sprichwörtlich
heißt, nicht um den Buchstaben, sondern um den Geist. Es geht
nicht um ein wortwörtliches Verständnis, sondern um den
Sinn hinter den Worten.
Nehmen wir diese drei Beispiele doch einmal ganz einfach als das,
was sie sind: Drei konkrete Einzelbeispiele aus dem Leben Jesu. Drei
Momentaufnahmen, die uns berichtet werden. Drei Blitzlichter aus seinen
vielen, vielen Begegnungen mit ganz konkreten Menschen. Jesus kannte
die wunden und springenden Punkte bei jedem Einzelnen. Er wusste,
was in einem Menschenleben dran war; welche Herausforderung gerade
entscheidend wichtig war. Er wusste, was er von einem Menschen verlangen
konnte und musste. Diesem einen Menschen und nur ihm galt ein solches
Wort und es ist nicht einfach wortwörtlich auf andere zu übertragen.
So konnte Jesus in einer anderen biblischen Geschichte einen Menschen
auch ganz bewusst auffordern, ihm nicht nachzufolgen, sondern in seinem
Dorf zu bleiben, und dort von seiner Heilung zu erzählen. (Markus
5,18-20)
Wo braucht Gott uns?
Das ist das Schwere an diesen Nachfolge-Geschichten: Nicht so sehr
ihre Radikalität, sondern dass sie uns zwingen, unseren eigenen,
ganz persönlichen Weg zu finden. Manchem wäre es lieber,
die Bibel wäre eine Art Kochbuch, wo man genau nachlesen kann,
was man in einer konkreten Situation zu tun hat. Manche wünschen
sich einen Guru, der es ihnen sagt. Und viele fallen deswegen auch
auf solche Gurus rein.
Gott, was willst du von mir ganz persönlich? Hier und heute?
Was hast du mit meinem Leben vor? Dieses Nachdenken und Fragen ist
das eigentlich Schwere. Aber einfacher und billiger ist Gott, ist
Jesus auch heute nicht zu haben. Wenn ich mir die drei Begegnungen
damals anschaue, dann wären das Fragen wie:
Was ist mein wunder Punkt, wo ich mich dir, Gott, verweigere? Woran
hängt mein Herz so, dass du gar keinen Platz hast? Was ist es,
was ich loslassen und ändern müsste, um wirklich frei zu
werden? Wo könnte, wo sollte, ja wo müsste mein Leben konsequenter,
klarer, intensiver, ehrlicher, gläubiger werden?
Und das sieht dann im Ergebnis bei einem jeden von uns anders aus.
Von dem einen kann und wird Gott mehr verlangen. Dem einen wird er
mehr, dem anderen weniger zutrauen. Aber er wird uns nichts zutrauen
und zumuten, für das er uns nicht auch die nötige Kraft
geben wird.
Nachfolge jeden Tag neu als die Frage: Gott, wozu brauchst du mich
heute? Wozu brauchen mich die Menschen? Was würdest du heute
vielleicht tun, Jesus? Und was hättest du gesagt? |
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