Worte
für viele Generationen Was verbindet die
Konfirmanden des vergangenen Sonntags mit ihren
14 Jahren mit Ihnen, den sog. Silbernen
Konfirmanden mit Ihren fast 40 Jahren, und mit
Ihnen, den sog. Goldenen mit Ihren ca. 65 Jahren.
Es ist u.a. jener Psalm 23 vom Guten Hirten, der
vorhin gebetet wurde. Sie alle haben ihn gelernt.
(Wie gut, das konnten Sie vorhin heimlich
überprüfen.) Auch die jetzigen Konfirmanden
lernen ihn noch, wenn sie auch insgesamt weniger
lernen als Sie früher.
Offenbar haben
diese Psalmworte eine Kraft, die die Generationen
übergreift, eine Kraft, die unabhängig ist vom
Alter und von der Mode. Die Bilder und Worte
dieses Psalms rühren Dinge in uns an, die nicht
nur mit dem Kopf zu tun haben. Sie erreichen Herz
und Gemüt. Man redet nicht viel darüber, aber
man spürt es: Gott als der Hirte, der seine
Menschen führt. Wer bräuchte nicht jemand, auf
den er sich verlassen kann, eine Hand neben sich,
nach der er greifen kann. Frisches Wasser.
Erfrischung für die Seele. Der rechte Weg.
Beistand in finsteren Tälern. Ein gedeckter
Tisch. Liebevolle Zuwendung. Und es wird voll
eingeschenkt. Wer bräuchte das alles nicht? Wer
lässt sich das nicht gerne schenken?
Das
biblische Bild vom Hirten
Und genauso ist
Gott, sagt der Psalm. Doch es hat so ein Problem
mit dem Bild von Gott als dem guten Hirten. Den
Sinn eines Bildes verstehen wir nur richtig, wenn
wir auch das Bild kennen. Aber wer weiß denn
schon noch aus eigener Anschauung, was es mit
einem Hirten, einen Schäfer auf sich hat? Und
wenn, wer hat Einblick in seine tägliche Arbeit?
Vermutlich sind deswegen viele heimlich geprägt
von einem alten, lieblichen, oft kitschigen
Hirtenbild aus der letzten Jahrhundertwende.
Vielleicht kennen Sie das, was ich gerne als
"Schlafzimmer-Christus" bezeichne:
Jesus als schöner junger Mann, mit Bart,
lockigem Haar, und über die Schulter gelegt ein
weißes niedliches Schäflein.
Genau das hat
Jesus nicht gemeint, als er sich selber als den
guten Hirten bezeichnet hat. Jesus, der gute
Hirte, das ist keine sentimentale oder
romantische Sache, sondern eine ernste, ja
geradezu todernste Angelegenheit: Der Hirte zur
Zeit Jesu war in einer karstigen, eher
lebensfeindlichen Landschaft unterwegs. Auf der
Suche nach jedem einzelnen Grashalm und nach
jedem einzelnen Tropfen Wasser. Er hatte täglich
mit wilden Tieren, mit Dieben und Räubern zu
tun, vor denen er seine Herde unter Einsatz
seiner Gesundheit verteidigen musste. Kein
Wunder, dass nicht nur für die Israeliten,
sondern auch für die Nachbarvölker der Hirte
zum Inbegriff für den verlässlichen Führer
geworden ist. Kein Wunder, dass sich auch die
Könige an diesem Bild messen lassen mussten.
Ein Hirte,
wie er im Buch steht
11 Ich bin der
gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für
die Schafe. 12 Der Mietling aber, der nicht Hirte
ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den
Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht -
und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und
zerstreut sie.
Der gute Hirte,
also der Hirte an sich, der Inbegriff eines
Hirten ist Jesus, indem er all das erfüllt, was
man sich damals von einem Hirten erwartete. Ja,
indem er es auf eine Weise erfüllte, wie man das
von keinem menschlichen Hirten letztlich erwartet
hat: Dass er nämlich, wenn es hart auf hart
geht, sogar mit seinem Leben für die einsteht,
die ihm anvertraut sind. Das Gegenteil davon ist
der "Mietling", wie Martin Luther
übersetzt, also der gemietete, der nur
angestellte Hirte. Die Schafe gehören ihm nicht.
Deswegen fühlt er keine Verantwortung und tut
nur seinen Job.
Ob wir die rechte
und die für uns passende Vorstellung von Gott
haben, zeigt sich im allgemeinen dann, wenn es im
Leben kritisch wird. Wenn es durch das finstere
Tal geht, von dem der 23. Psalm auch spricht.
"Ist dein Gott groß genug, wenn ..."
heißt der Titel eines Büchleins. "Dein
Gott", das ist nicht Gott allgemein, sondern
deine persönliche Vorstellung von Gott
Gott, wie du ihn glauben kannst. Ist dein Gott
groß genug, wenn du eine schwere Krankheit
durchzustehen hast? Ist dein Gott groß genug,
wenn du einen lieben Menschen hergeben musst? Ist
dein Gott groß genug, wenn dir das Wasser bis
zum Hals steht? Der von sich gesagt hat "Ich
bin der gute Hirte", der ist groß genug.
Der ist da, auch wenn das Tal noch so finster
ist. Der bewährt sich in der Not. Nicht, indem
er keine Not kommen lässt, sondern, indem er
durchhilft.
So als
wärest du der einzige auf der Welt
14 Ich bin der
gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen
kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt, und
ich kenne den Vater.
Gott kennt mich.
Er kennt jeden Einzelnen. Und mag es Menschen
geben, die auf uns herabschauen oder uns
belächeln Gott kennt und akzeptiert uns.
Und mag sich mancher vielleicht wie ein kleines
Rädchen in einer großen Maschine fühlen
vor Gott ist er eine eigene und unverwechselbare
Persönlichkeit. Ersetzbar und austauschbar, in
einem Betrieb vielleicht oder in einer
Mannschaft unersetzbar und
unverwechselbar aber vor Gott.
Fragen Sie mich
nicht, wie das geht, dass Gott dich und mich
unter Milliarden von Menschen einzeln beachtet.
Fragen Sie mich nicht, wie ein Schäfer
und da kommt dieser Gedanke ja her es
schafft, 200 Schafe, die für uns alle eins wie
das andere aussehen, mit Namen
auseinanderzuhalten. Verlassen Sie sich einfach
ganz frech auf Martin Luthers Worte: Stelle dir
vor, Gott nimmt dich so ernst, als seist du der
einzige Mensch auf der Welt.
Verbindung
aufnehmen
27 Meine
Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie,
und sie folgen mir.
Das ist nun der
springende Punkt, den man nicht verschweigen
darf: Damit man die Hilfe dieses guten Hirten,
der auch in der Not nicht von der Seite weicht,
erfahren kann, ist es nötig, den Kontakt zu ihm
aufzubauen und zu vertiefen. Es kann keine
Freundschaft durch dick und dünn halten, wenn
sie nicht gepflegt wird. Es kann sich keiner in
seinem Beruf auf das Gelernte verlassen, wenn er
es nicht immer wieder einübt. Es kann die Hilfe
Gottes in schlechten Zeiten nur erfahren, wer
schon in guten Zeiten auf ihn hört, nach ihm
fragt und ihm folgt.
Gott ist ganz
gewiss keine knickrige alte deutsche
Krämerseele, die erst hilft, wenn sie eine
Vorleistung bekommen hat. Aber es könnte doch
sein, dass Gott zwar nahe ist, doch das taube
Ohr, das ungeschulte Auge und die unerfahrene
Seele erfahren ihn nicht und fragen: "Wo
bist du, Gott? Und warum lässt du das zu?"
Was es
sonst noch zu sagen gäbe
Ich nehme die
Kurve zum Schluss hin: Was müsste man nicht
alles noch erzählen und auslegen, wenn man sich
in die nächsten Verse dieses Evangelium vom
guten Hirten hineinvertieft: Von der
körperlichen und geistlichen Vorbereitung
müsste man erzählen, die man braucht, um Gottes
Stimme zu hören: Vom Rückzug in die Stille. Von
Gebet und Meditation in dieser so lauten Zeit, wo
die Stimme des guten Hirten vom alltäglichen
Lärm verdeckt wird.
Von den falschen
Hirten müssten man erzählen. Von den
Mietlingen, die nur ihren Job tun und nicht mit
ganzen Herzen bei den ihnen anvertrauten Menschen
sind.
Die Ökumene
dürfte man nicht vergessen, denn hier steht ja
dieser zentrale Satz, dass eine Herde und ein
Hirte sein sollen. Eine tiefe Wunde, in die jetzt
wieder hineingebohrt worden ist durch den
päpstlichen Hinweis, dass wir nicht gemeinsam
Abendmahl feiern dürfen.
Mehrere Predigten
könnten das noch werden. Vielleicht ein Anreiz
für Sie, sich mit diesen Worten aus Johannes 10
heute oder in der kommenden Woche selbst noch
einmal auseinanderzusetzen.
Der
Schluss- und Höhepunkt
Schliessen und
zubinden möchte ich mit dem Höhepunkt dieser
Worte Jesu, dem Höhepunkt, dem nichts, aber auch
gar nichts mehr hinzugefügt werden kann:
27 Meine
Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie,
und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das
ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen,
und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29
Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer
als alles, und niemand kann sie aus des Vaters
Hand reißen.
Was könnte man
einem getauften und konfirmierten Menschen
Größeres und Endgültigeres weitersagen als
das: Keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod,
kann dich seiner Hand entreißen.
Ich steh in
meines Herren Hand und will drin stehen bleiben;
nicht Erdennot, nicht Erdentand soll mich daraus
vertreiben. Und wenn zerfällt die ganze Welt,
wer sich an ihn und wen er hält, wird
wohlbehalten bleiben. Amen
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