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predigt[e].de

Die Predigt vom 15. Juni 2003 (Trinitatis):
»Bilder als Krücken des Verstand«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag Trinitatis, das „Fest der Heiligen Dreifaltigkeit“. Sein Thema ist Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Evangelium und Predigttext dieses Sonntags wäre das Gespräch Jesu mit Nikodemus aus Johannes 3 gewesen. Anlässlich des „Gottesdienstes einmal anders“ gab es eine kombinierte Bild- und Liedpredigt. In der Epistel aus Römer 11 staunt Paulus über das Geheimnis Gottes.
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
Die Heilige Dreifaltigkeit ("Not Gottes"), um 14401. Brunn alles Heils, dich ehren wir und öffnen unsern Mund vor dir; aus deiner Gottheit Heiligtum dein hoher Segen auf uns komm.

2. Der Herr, der Schöpfer, bei uns bleib, er segne uns nach Seel und Leib, und uns behüte seine Macht vor allem Übel Tag und Nacht.

3. Der Herr, der Heiland, unser Licht, uns leuchten lass sein Angesicht, dass wir ihn schaun und glauben frei, dass er uns ewig gnädig sei.

4. Der Herr, der Tröster, ob uns schweb, sein Antlitz über uns erheb, dass uns sein Bild werd eingedrückt, und geb uns Frieden unverrückt.

5. Gott Vater, Sohn und Heilger Geist, o Segensbrunn, der ewig fließt: durchfließ Herz, Sinn und Wandel wohl, mach uns deins Lobs und Segens voll! (Evangelisches Gesangbuch Nr. 140)

 
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Die Predigt
Das Meer ausschöpfen

Augustinus war Bischof in Nordafrika. Im 4. Jhd. nach Christus, damals, als Nordafrika noch christlich war. Augustinus war auch einer der ersten christlichen Theologen. D.h. er versuchte, alles, was man in der Bibel lesen kann, zu einem verständlichen Ganzen zu verbinden. Von diesem Augustinus wird folgende Geschichte berichtet:

Er ging am Strand des Mittelmeers spazieren und kam an einem Kind vorbei, das am Strand spielte. Es schöpfte mit großer Geduld mit einem Becher Wasser aus dem Meer in eine kleine Grube, die es sich in den Sand gegraben hatte. "Was hast du vor?" fragte Augustinus das Kind freundlich. "Ich will das Meer ausschöpfen", sagte der Kleine. Augustinus musste lächeln, aber er kam sogleich auch ins Nachdenken. Was er da erlebte, war für ihn wie ein Fingerzeig für seine momentanen theologischen Überlegungen: So wenig es diesem Kind gelingen würde, das Meer auszuschöpfen, so wenig würde es dem Menschen jemals gelingen, mit seinem Verstand die Dreieinigkeit Gottes zu ergründen.

Drei - einigkeit

Dreieinigkeit – wie soll man das verstehen? Wir glauben an einen Gott, aber wir glauben an Gott, den Vater, der uns geschaffen hat und erhält; wir glauben an Gott, den Sohn, der als Mensch auf dieser Erde gelebt hat; wir glauben an Gott, den Heiligen Geist, in dem Gottes Kraft zu uns kommt. Einzeln macht das keine Probleme, aber wenn man es zusammenbringen und in ein System packen will. 1 + 1 + 1 ergibt 3. Aber im Blick auf Gott würde die Rechnung lauten: 1 + 1 + 1 ist 1.

Bilder als Krücken

Überall, wo unser menschlicher Verstand nicht weiter kommt, helfen wir uns mit Bildern. Das können sprachliche Bilder sein. Wir sagen z.B.: Gott ist einer, aber er begegnet uns, er zeigt sich uns auf dreifache Art und Weise. Das können gedankliche Bilder sein. Im Mittelalter sagt man z.B.: Gott ist wie eine Blume, aber die hat Stängel, Blüte und Duft. Alle zusammen ergeben sie die eine Blume. Eines allein gibt es nicht.

Oder wir helfen uns mit gemalten Bildern wie heute auf dieser Postkarte. Das ist gut und recht. Wenn wir nur nicht vergessen, dass, was wir sehen, nie die ganze Wirklichkeit ist. Und so zeigt auch dieses Bild etwas, was man eigentlich gar nicht zeigen kann. Es ist eine Art Krücke, eine Geh- und Sehhilfe für unsere Augen und unser Nachdenken. Um 1440 ist diese Darstellung der Dreieinigkeit entstanden. Das Bild hängt in der ungarischen Nationalgalerie in Budapest. Sie können das alles der Rückseite entnehmen.

Himmlische Dinge malen

Wir sehen Gott-Vater. Er zeigt uns Jesus als Schmerzensmann. Und über allem schwebt der Heilige Geist. Und doch wissen wir: Gott kann und soll nicht gemalt werden, weil ihn jedes Malen und Darstellen schon festhalten und begreifen will. Das ist aber auch dem Künstler klar, indem er alles vor einem goldenen Hintergrund malt. Dieser goldene Hintergrund sagt in der christlichen Kunst: Wir sehen himmlische Dinge, Dinge also, die man eigentlich gar nicht zeigen kann.

Und so sagt die Orthodoxe Kirche, die Kirche des Ostens, uns Christen im Westen mit einigem Recht: Die Frage nach der Dreieinigkeit ist keine Frage des theologischen Nachdenkens, sondern eine Frage des Gottesdienstes, des Betens und des Singens. Redet nicht so viel über Gott, sondern redet mit ihm. Und so will ich dieses Bild auch mit Ihnen singend betrachten. "Brunn alles Heils, dich ehren wir" ist die Nr. 140 in unserem Gesangbuch. Singend sollen wir uns Gott nähern, so sagt die erste Strophe:

1. Brunn alles Heils, dich ehren wir und öffnen unsern Mund vor dir; aus deiner Gottheit Heiligtum dein hoher Segen auf uns komm.

Von der Traurigkeit Gottes

2. Der Herr, der Schöpfer, bei uns bleib, er segne uns nach Seel und Leib, und uns behüte seine Macht vor allem Übel Tag und Nacht.

Gott, der Vater, der Schöpfer. Er hält alles in seiner Hand. So auch auf diesem Bild. Was zuerst auffällt, sind seine Augen: fragende Augen, traurige Augen. Kann Gott ratlos sein oder traurig? Um den Künstler zu verstehen, muss man die Vorgeschichte in der christlichen Kunst kennen: Darstellungen der Trinität entstehen erstmals im 12. Jhd. in der sog. Romanik: Da sitzt Gott majestätisch auf dem Thron und zeigt dem Betrachter das Kreuz mit Jesus. "Gnadenstuhl", so nennt man diese Form in der Kunst. Die darauf folgende Gotik greift dann das Fragen der Menschen auf: "Was ist das für ein Gott, der fern von uns auf seinem Thron sitzt?" "Was ist das für ein Gott, der seinen Sohn opfert?"

Die Darstellung der Dreieinigkeit ändert sich Ende des 14. Jhd.: Gott verlässt seinen Thron. Er kommt den Menschen entgegen und zeigt ihnen Jesus als Schmerzensmann. Der Schmerz Gottes wird in den Vordergrund gerückt. "Not Gottes", so wird dieses Bild aus Ungarn, das Sie vor sich haben, auch genannt. Ich schaue ihm in die Augen und stelle mir vor, wo und wie Gott auch heute traurig den Kopf schüttelt:
- über Juden und Palästinenser,
- über die Kindersoldaten im Kongo,
- über die Katastrophen, die menschliches Versagen und Leichtsinn auslösen,
- über die Allmachtsphantasien der Wissenschaftler, die Gott spielen wollen,
- vielleicht auch über die gegenwärtige Situation in der Ökumene ...

Wir singen die zweite Strophe des angefangenen Liedes. ...

Von der anderen Seite Gottes

3. Der Herr, der Heiland, unser Licht, uns leuchten lass sein Angesicht, dass wir ihn schaun und glauben frei, dass er uns ewig gnädig sei.

Christus als Schmerzensmann hält uns Gott vor Augen. Der Kopf ist auf die Seite gefallen. Die Augen sind gebrochen. Wir sehen die Blutspuren am Kopf, an der Seite und an den Nägelmalen der Hände. Dreieinigkeit und Passion eng verbunden. Nicht die Allmacht Gottes steht im Vordergrund, sondern seine Menschennähe. Gott ist nicht der göttliche Tyrann, der gnadenlos seinen Sohn sterben lässt, sondern er nimmt traurig über die Menschheit das Selbstopfer seines Sohnes an. Ja, noch mehr: In Jesus, den Gott uns da entgegenhält, zeigt Gott nicht einen anderen, sondern er zeigt sich sozusagen selber. Er zeigt uns eine Seite an sich, die wir nicht gekannt und ihm nicht zugetraut haben.

Wir singen die dritte Strophe des angefangenen Liedes. ...

Von der Nähe Gottes

4. Der Herr, der Tröster, ob uns schweb, sein Antlitz über uns erheb, dass uns sein Bild werd eingedrückt, und geb uns Frieden unverrückt.

Die Taube, sie begegnet uns als Friedenstaube in der Geschichte von Noah, der Sintflut und der Arche. Und sie begegnet uns in der biblischen Geschichte von der Taufe Jesu als Symbol für den Heiligen Geist. Wie eine Taube sei Gottes Kraft auf Jesus gekommen: unversehens und überraschend, von oben, aus dem Himmel. Wie eine Taube, die sich freiwillig niedersetzt, aber sich nicht fangen und festhalten lässt, wenn wir nach ihr greifen.

Noch mehr Bilder kennt die Bibel für den Heiligen Geist. Bilder, die wie bei der Taube nicht beschreiben wollen, wer er ist, sondern wie er ist: Wie Feuerzungen setzt er sich in der Pfingstgeschichte auf die Jüngern und macht sie zu Begeisterten. Mitreißend erscheint er ihnen wie das Brausen eines Sturms. Oder wie im heutigen Evangelium: geheimnisvoll wie ein leiser Wind, den man spürt, den man aber nicht greifen kann. Auf unserem Bild setzt die Taube zur Landung an. Der Heilige Geist ist unterwegs. Ich hoffe, auch zu uns.

Wir singen die vierte Strophe des angefangenen Liedes. ...

Nicht über, sondern mit Gott reden

5. Gott Vater, Sohn und Heilger Geist, o Segensbrunn, der ewig fließt: durchfließ Herz, Sinn und Wandel wohl, mach uns deins Lobs und Segens voll!

Zurück zum Beginn des Liedes in der ersten Strophe: singend wollen wir uns Gott nähern. Zurück zur Erkenntnis der orthodoxen Kirche: Nicht so sehr über Gott reden, sondern mit ihm und zu ihm. So endet auch dieses Lied: Verstehen, begreifen, ergreifen und festhalten können und sollen wir Gott nicht. Aber um seine Nähe bitten und um seinen Segen. Dass er uns als Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist mit seiner Kraft durchfließe und erfülle. Wir singen die fünfte und letzte Strophe dieses Liedes.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de