|
Die Predigt |
Schlingensief
und die „Kirche der Angst“
Vielleicht haben Sie es auch in der Wochenendausgabe der Tageszeitung
gelesen: Als Ort für Gespräch und Begegnung entsteht eine
"Kirche der Angst" vor dem Bayreuther Jugendkulturzentrum.
Angst und Kirche. Das macht neugierig. Das provoziert. Dahinter steht
Christoph Schlingensief, einer der gerne mit Provokationen arbeitet,
um Menschen aufmerksam
zu machen und aufzurütteln. Vielleicht muss man heute provozieren,
wenn man etwas Wichtiges zu sagen hat. Sonst wird man bei den vielen,
vielen Meldungen gar nicht mehr wahr genommen.
"Kirche der Angst": Das meint, Menschen sollen sich ihrer
Angst bewusst werden. Sie sollen zu ihrer Angst stehen und sie nicht
unterdrücken. Das ist bei Schlingensief v.a. politisch gemeint.
Wir sollen eine gesunde Angst, eine gesunde Skepsis haben bei den
Argumenten, mit denen der Krieg im Irak gerechtfertigt wird.
"Kirche der Angst" heißt auch, Menschen sollen sich
zusammentun und über ihre Ängste reden. Sie sollen Einzelgemeinden
dieser Kirche der Angst gründen. Angst darf nicht lähmen,
darf nicht zum Rückzug führen, zur Vereinzelung.
Die christliche Kirche und die Angst
"Kirche der Angst" ist aber auch ein Vorwurf. Eine neue
Kirche braucht es nur, wenn die alte versagt. Den christlichen Kirchen
wird vorgeworfen, dass sie sich eben nicht um die Ängste der
Menschen kümmern, ja dass man in der Kirche keine Angst haben
dürfe.
Wenn das wirklich so wäre, wenn die Kirche die Menschen alleine
lassen würde mit ihrer Angst, dann wäre diese sog. "Kirche
der Angst" ja wirklich dringend notwendig. Unabhängig von
dem, was die Bibel zur Angst sagt, ist Angst erst einmal etwas Positives.
Angst ist ein Warnsignal. Gesunde Angst zeigt an, wo es gefährlich
werden könnte.
Angst vor den Folgen der Strahlungen des Mobilfunks. Angst vor Feldern
mit genmanipulierten Pflanzen. Angst vor Überfremdung durch Menschen
anderer Völker oder anderen Glaubens. Angst vor Arbeitslosigkeit,
vor Krankheit oder der Zukunft überhaupt. Kirche muss solche
Ängste ernst nehmen. Sie muss sich die Ängste der Menschen
anhören. Sie muss zuallererst unterscheiden helfen, was eine
berechtigte Angst und was nur Hysterie ist. Und Kirche muss mehr zu
sagen haben als die Botschaft der "Kirche der Angst", die
da lautet: "Ihr dürft Angst haben. Tut euch zusammen und
unternehmt was."
Worte gegen die Angst
Ich denke an das Wort Jesu beim Abschied von seinen Jüngern:
"In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die
Welt überwunden." (Joh 16,33b) Das ist erst einmal
eine Antwort auf die Kritik, Kirche würde die Angst verbieten.
Natürlich gehört die Angst zum Menschsein. Natürlich
kennt auch der Glaubende Angst. Aber er kennt auch einen, der stärker
ist als alle seine Angst.
"Kirche der Angst", das ist vielleicht auch eine heimliche
Kritik daran, dass die christliche Kirche ja wirklich im Mittelalter
einmal eine Kirche der Angst war. Eine Kirche, die Menschen in Angst
gehalten hat bzw. die die Angst der Menschen ausgenutzt hat, um Geld
daraus zu schlagen.
Aber Angst darf kein Instrument der Kirche sein. Eine Kirche, die
Angst macht, ist keine Kirche. Denn Gott ist Liebe. Womit wir beim
heutigen Predigttext wären, in dem es ja auch um die Angst geht.
Doch hier wird nicht die Angst überhaupt abgelehnt, sondern nur
die Angst vor Gott:
16 Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt
in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen,
dass wir
Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch
wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, 18 sondern die
vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit
Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der
Liebe.
Gott ist kein Gott der Angst
Eindeutiger kann man es nicht sagen: Gott ist Liebe. Wer das erkannt
hat, der braucht keine Angst vor dem Ausgang seines Lebens zu haben.
Und wer immer noch Angst hat, der hat Gottes wahres Wesen noch nicht
erkannt. Der hat sich im Glauben noch nicht genug in Gott vertieft.
Das ist auch die Botschaft Martin Luthers. Martin Luther – wie
alle Menschen damals in Angst aufgewachsen, aus Angst Mönch geworden
– will den Menschen seiner Zeit ganz bewusst die Angst vor Gott
nehmen. Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der
von der Erde bis an den Himmel reicht. So können wir es
unter den Texten unseres Gesangbuchs beim Lied 216 lesen.
Gott ist kein Gott der Angst. Deswegen darf auch die Kirche keine
Kirche der Angst sein: Keine Kirche, die Angst macht. Aber unbedingt
eine Kirche, die die Angst der Menschen ernst nimmt und eine Gute
Botschaft gegen die Angst hat.
Dass Gott ein Gott der Liebe und nicht ein Gott der Angst ist, ist
vor allem bei der Erziehung wichtig: Wenn Gott zum aufpassenden und
strafenden Gott gemacht wird, zum Helfershelfer der Eltern, dann ist
das gegen die
Bibel. "Der liebe Gott sieht alles und straft alles. Auch alles,
was die Eltern nicht sehen. Er sieht ins Verborgene. Er sieht auch
unter die Bettdecke."
Wer in der Erziehung einen solchen Gott erlebt, der wirft ihn weg,
sobald er kann. Ja, einen solchen Gott muss man wegwerfen. Das Problem
ist nur, dass Menschen dann an diesem Punkt stehen bleiben und dann
nicht mehr zum wahren und eigentlichen Gott finden.
Ist der liebe Gott immer lieb?
Gott ist die Liebe. Wie ist das zu verstehen, wenn der sog. "liebe
Gott" einmal nicht so lieb ist? Gott ist die Liebe, heißt
nicht, dass Gott immer lieb zu mir wäre, wenigstens nicht in
dem Sinn, wie ich mir vorstelle, dass er sein müsste, wenn er
wirklich lieb wäre. Wo ist der liebe Gott, wenn es mir schlecht
geht und er scheinbar nur zuschaut? Das wäre ein eigenes Thema.
Das wäre eine eigene Predigt.
Gott ist die Liebe. Das haben die Theologen immer in zwei Richtungen
verstanden, einmal mehr theoretisch und einmal mehr praktisch. Und
solche Antworten der Theologen als Vordenker sind dazu da, dass Gemeindeglieder
dann überlegen, was sie sich davon zu Eigen machen
wollen, was sie nachsprechen können und was nicht.
Gott will nicht alleine sein
Gott ist die Liebe. Das wurde immer erst einmal theoretisch verstanden:
Dass Gott Liebe ist, dass sein ganzes Sein und Wesen Liebe ist, kann
man daran erkennen, dass er als Gott nicht allein bleiben wollte.
Er hätte als Gott alleine in seinem Himmel bleiben können.
Es hätte keine Erde und keine Menschen gebraucht. Aber nein:
Er wollte das Gegenüber. Er wollte die Schöpfung. Er wollte
den Menschen. Gott ist nicht auf das "Ich", sondern auf
das "Du" hin angelegt. Und dann der entscheidende Schritt
vom Alten zum Neuen Testament: Gott schafft sich nicht nur den Menschen
zum Du und bietet ihm das Du an. Er sucht selber in dem Menschen Jesus
die Nähe zu den Menschen.
Gott ist Liebe. Das heißt deswegen praktisch: Alles, was man
von Gott sagen kann, muss man an Jesus und seinem Verhalten ablesen:
Liebe ist, wie Jesus sich der Ausgestoßenen und Randsiedler
seiner Zeit angenommen hat. Wie er aber auch die Frommen nicht hat
links liegen lassen. Wie er ohne Berührungsängst mit den
körperlich und psychisch Kranken umgegangen ist.
Der liebesbedürftige Mensch
Und dann die entscheidende Folgerung des Johannesbriefs: So wie Gott
ist, so muss auch sein Gegenüber Mensch sein. So wie Gott auf
das Du hin angelegt ist, so auch der Mensch. So wie Gott Liebe ist,
muss auch der Mensch Liebe sein.
16 Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt
in Gott und Gott in ihm. 19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst
geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen
Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt,
den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? 21 Und
dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch
seinen Bruder liebe.
Der genaue Hintergrund für diese Worte ist nicht ganz klar: Es
scheint in der Gemeinde, an die die Johannesbriefe gerichtet sind,
Gemeindeglieder gegeben zu haben, die in ihrer Gotteserkenntnis und
Gottesliebe schon so
vergeistigt waren, dass sie mehr oder weniger schon im Himmel waren,
dass sie darüber die Welt und den Menschen neben sich vergessen
haben. Und dazu Johannes ganz eindeutig: Wer unter den Menschen solche
Liebe nicht kennt, wie sie Jesus gelebt hat, der kennt auch Gott nicht
– und umgekehrt.
Durchlauferhitzer der Liebe
19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Diese
Übersetzung Martin Luthers ist nicht ganz richtig. Hier steht
im Urtext nicht: "Lasst
uns lieben." sondern "Wir lieben." "Wir lieben,
weil Gott uns zuerst geliebt hat." Man kann zur Liebe eigentlich
nicht auffordern. Man kann sie nicht befehlen. Entweder man liebt,
weil man selber geliebt wird, weil man Liebe erfahren hat, oder jede
noch so gut gemeinte Aufforderung bringt nichts. Liebe wird nur durch
Geliebtwerden gelernt. Wenn jemand Liebe erlebt, dann wirkt sie von
allein. Das gilt für Gottes Liebe, die jemand erlebt, und es
gilt für menschliche Liebe.
In einem technischen Bild zum Schluss und zum Weiterdenken: Menschen
sind eine Art Durchlauferhitzer empfangener Liebe. Wo sich jemandes
Liebe nur auf sich selbst richtet oder nur auf Gott, da entsteht ein
Kurzschluss. Die Kraft muss und will weiterströmen auf den Mitmenschen. |
|