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predigt[e].de

Die Predigt vom 5. Dezember 2004 (2. Advent):
»In was für einer Zeit leben wir?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 2. Advent. Sein Thema ist ist Jesu zweiter Advent, sein Erscheinen am Ende der Zeiten. Evangelium war ein Abschnitt aus Lukas 21 mit der Frage nach den Zeichen, die seinem Kommen vorausgehen. Die Epistel aus dem Jakobsbrief ruft zur Gelduld auf. Predigttext (s.u.) war ein Abschnitt aus Matthäus 24 zu gleichen Thema:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
(24 1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu
ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu
ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier
nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.)
3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und
sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? und
was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der
Welt?
4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht
jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem
Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen.
6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und
erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht
das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben
und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein
und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.
9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und
ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen
Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander
verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich
viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und
weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in
vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig
werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich
in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das
Ende kommen.
Predigt
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zu den Predigten

Die Predigt
In was für einer Zeit leben wir?

In was für einer Zeit leben wir? 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.
Ja, in bestimmter Hinsicht sind die Zeiten kälter geworden. Die Verteilung der Lasten und der Güter in der Gesellschaft ist ungerechter geworden. Von "sozialer Kälte" spricht man mittlerweile. Der Staat hat nicht mehr so viele
Wohltaten zu verteilen wie früher. Die Schere zwischen Reichen und Armen wird größer. Die Mittelschicht, die das Land immer ausmachte, wird kleiner. Der Arbeitsplatzabbau hat auch Bayreuth erreicht. Manche traurige Nachricht gab es in der vergangenen Woche.

Ist die Gesellschaft kälter geworden?

Und doch kann und will ich nicht einstimmen in das Jammern über die kälter gewordene Welt: Ob es kalt ist in der Gesellschaft hängt meiner Meinung nach nicht so sehr daran, ob Staat oder Arbeitgeber weniger tun, sondern daran, wie wir Menschen miteinander umgehen. Es gibt Länder auf dieser Erde, da konnte der Staat noch nie Wohltaten verteilen, da gibt es kein soziales Netz, aber die Wärme zwischen den Menschen gibt es doch. Ist es vielleicht auch deswegen kälter geworden, weil uns der Sozialstaat in den
letzten 30 Jahren so verwöhnt hat, dass wir vergessen haben, dass die Wärme nur aus unseren eigenen Händen kommen kann?

In was für einer Zeit leben wir? Manches aus den Worten des Lukas klingt bekannt. Fast wie eine aktuelle Beschreibung. Anderes wieder ist weiter weg von uns. Von außen und von innen werden die Menschen, werden die christlichen Gemeinden bedrängt, so beschreibt er:

6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; ... 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.
In der Rubrik "Weltnachrichten" können wir das heute täglich hören und sehen. In der Rubrik "Lokalnachrichten" Gott sei Dank nicht. Kriege, Aufstände, Hunger und Erdbeben sind fast alltäglich. Die Medien tragen sie uns live ins Haus. Aber sie sind doch weit weg. Auch wenn wir gestern und vorgestern gehört haben, wie weit der Arm des Terrorismus vielleicht doch reichen kann.

Leben wir in der Endzeit?

Bedrängnis von außen und auch von innen:
9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen.
Es gibt Christenverfolgung. Es gibt Hass gegen Christen. Aber auch das gehört in die Rubrik "Weltnachrichten" und geschieht nicht in unserer Nähe. Auch dass in der Gemeinde Menschen durch den Druck von außen abfallen, sich untereinander denunzieren und anschwärzen, untereinander hassen, das ist nicht unsere Realität.
Dass Glaube erlahmt, wenn es den Menschen gut geht, ist eine alte Erfahrung. Dass Christen die Minderheit in einer Gesellschaft sind, auch.
Aber mit der Bedrängnis und dem Abfall ist in den Worten Jesu Schlimmeres gemeint.
In was für einer Zeit leben wir also? Ist diese Zeit des weltweiten Terrorismus, diese Zeit der Globalisierung, in der der einzelne immer weniger zählt, diese Zeit steigernder Erderwärmung aber größerer innerer Kälte ... Ist das die Endzeit? Geht es nun dem Ende entgegen?
Nein, sagt Jesus, das ist nicht die Endzeit. 6 ... seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da.
Oder zwei Verse weiter mit anderen Worten: 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen.


Der Alltag ist der Ernstfall

Also: Die Zeichen der Zeit, die wir sehen, sind nicht Zeichen der Endzeit. Es ist nicht Endzeit, in der wir leben, sondern eigentlich normale Zeit. Es ist der Alltag, aber – und das ist wichtig – der Alltag als eine Zeit, die auf die Endzeit zuläuft. Diese Nüchternheit und Klarheit, mit der Jesus die Zeit ansieht, gefällt mir. Sie straft all die Lügen, die zu ihrer Zeit schon immer
meinten, jetzt sei es wirklich so weit. Jede Zeit und jede Generation sieht ihre Bedrängnisse als die größten an. Im Vergleich dazu haben wir schon gar keinen Grund für Endzeitklagen:
Wenn wir z.B. mit der Zeit der Christenverfolgung vergleichen. Oder mit den
finsteren Seiten des Mittelalters, als auch die Päpste und mit ihr die Kirche ganz verweltlicht waren, der Durchschnittsbürger ein Leibeigener, klein gehalten durch die Angst vor der Hölle. Oder wenn wir an den Dreißigjährigen Krieg denken, wo durch Krieg und Pest zwei Drittel der deutschen Bevölkerung umkamen, wo ein Paul Gerhardt drei Kinder und seine Frau verlor und trotzdem Glaubenslieder dichtete. Oder die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, die die Bahn bereitete für den nächsten großen Verführer.

Nüchtern bleiben!

Was ist das Gefährliche, wenn Menschen eine Zeit nicht als den Alltag, sondern als Endzeit einordnen? Die Kirchengeschichte hat gezeigt, dass Menschen dann alles stehen und liegen lassen. Der Alltag und die Verantwortung füreinander sind nicht mehr wichtig. Nach dem Motto "Rette sich, wer kann." will jeder nur seine Haut retten. Wie bei einer Panik stürmt
man über die Langsamen und die am Boden Liegenden hinweg.
Und: Endzeit ist Zeit der Verführbarkeit. Zeit für die, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen, weil Menschen in Hysterie und in Jammerstimmung nicht mehr klar denken. 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen.

Nein, Nüchternheit und klare Gedanken sind gefragt: Sich nicht verführen lassen. Sich nicht von der Hysterie und dem Gejammer mitreißen lassen. In was für einer Zeit leben wir? Es ist normale Zeit, in der wir leben. Aber nicht
normale Zeit in dem Sinn, dass man einfach so weiterwursteln könnte. Der normale Alltag ist sozusagen der Ernstfall.
Das ist die Herausforderung: Den Mittelweg finden zwischen Achselzucken und Hysterie. Zwei Dinge sind entscheidend, sagt Jesus:

Der Alltag ist Bewährungszeit: 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.
Und: Es geht gut hinaus: Die Bedrängnisse sind nur Durchgangsstation, sind die Geburtswehen für eine neue Welt.

Menschliche Wärme gegen die kalte Zeit

Der Alltag als Bewährungszeit: Bewährung gilt gerade im Alltag. Bewährung kann und darf nicht auf die Endzeit verschoben werden so auf die Art: Jetzt wird's ernst. Es bewährt sich, sagt Jesus, wer beharrlich ist, wer durchhält.
Der bewährt sich, bei dem die Liebe gerade nicht erkaltet.
Das könnte das Gute daran sein, dass der Staat nicht mehr so viele Wohltaten verteilen kann: Dass wir selber als Menschen, als Familien, als Nachbarn für die Wärme in der Gesellschaft sorgen müssen und es nicht achselzuckend dem Staat überlassen können.
Das ist Advent: Der dunklen Welt Licht entgegensetzen. Der kalten Welt und der menschlichen Kälte Wärme entgegensetzen. Nicht über die Dunkelheit jammern, sondern Lichter anzünden. Nicht über die kälter gewordene Welt
jammern, sondern mit eigenen Händen Wärme verbreiten.

Denn: Christen wissen: Es geht gut hinaus. "Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht." So der Wochenspruch und der zentrale Satz des Sonntagsevangeliums. Nicht das Ende naht, sondern Jesus Christus naht. Nicht etwas kommt auf uns zu, sondern er kommt. Der, an den wir jetzt schon glauben, kommt. Wir kennen ihn aus der Bibel. Wir kennen ihn aus dem Gebet und dem Gottesdienst. Wir kennen ihn. Wir brauchen keine Angst vor ihm zu haben.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de