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Die Predigt |
Mehr Freiheit im
Neuen Jahr
Silvester, Altjahresabend. Der Tag, wo die meisten innehalten und
auf ihr Leben schauen. Zurück ins zu Ende gehende Jahr. Voraus
ins Kommende.
Silvester. Der Tag, wo sich mancher etwas vornimmt. Wir wissen nicht,
was das Jahr bringen wird. Aber was die eigenen Gewohnheiten angeht,
könnte man vielleicht doch dem Leben eine etwas andere Richtung
geben.
Wenn Menschen sich etwas vornehmen für ein neues Jahr, dann hat
das oft mit Freiheit und Gebundenheit zu tun: Bindungen loswerden
und mehr Freiheit finden. Freiheit von Dingen, die einen abhängig
machen. Freiheit von Dingen, die einen binden: Zigaretten vielleicht,
Alkohol, andere Suchtmittel. Zu viel oder falsche Ernährung.
Zu wenig Sport. ...
Mehr Freiheit: Nicht so sehr darauf schauen, was man so tut, was man
so kauft. Entdecken, was wichtig ist und was nicht so wichtig ist.
Mehr Gelassenheit: Frei werden vom Urteil anderer. Seinen eigenen
Weg finden.
Freiheit in der Bindung an Gott
„Von guten Mächten wunderbar geborgen ...“ So hat
Bonhoeffer zu Silvester 1945 an seine Familie aus dem Gefängnis
gedichtet. Zum Bonhoefferjahr hatten wir diese Worte hier in der Kirche
hängen. Dietrich Bonhoeffer war nicht frei, nein. Aber doch klingt
aus seinen Worten so viel innere Freiheit, so viel Gelassenheit.
Bonhoeffer fand diese Freiheit und Gelassenheit in der Bindung an
Gott. Vor ihm und nach ihm haben es glaubende Menschen immer wieder
erfahren: Wer sich an Menschen bindet, der muss Freiheit aufgeben.
Wer sich an Gott bindet, der findet Freiheit. Das ist paradox. Das
ist nicht logisch. Das kann man nicht erklären. Das kann man
nur durch Ausprobieren erfahren.
Wahre Freiheit durch die Bindung an Gott. So lese ich es auch in den
Worten aus dem Johannesevangelium, die uns für heute zum Nachdenken
aufgegeben sind. Aus Johannes 8:
31 Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn
ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei
machen. 33 Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind
niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei
werden? 34 Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich,
ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.
35 Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. 36
Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.
Dran bleiben und Freiheit finden
Wo ist Freiheit zu finden? Wo kommt sie her? So ist der logische Aufbau
dieser Worte:
Die Wahrheit macht frei. Die Wahrheit ihrerseits ist in den Worten
Jesu zu entdecken. Man entdeckt sie aber nur, wenn man dran bleibt.
Kurz gesagt: Ein frommer Text für heute Abend und für den
Gang in das neue Jahr. Auf Gottes Wort hören und dadurch Freiheit
finden. Von vorne:
Worte, die weiterhelfen
Jesu Worte: Damals konnten sie die Menschen leibhaftig von ihm hören.
Jetzt, wo man ihn nicht mehr leibhaftig erleben kann, sind seine Worte
in den Worten der Bibel zu hören. Die Worte der Bibel sind nicht
unmittelbar Jesu Worte. Sie sind Jesuswort im Menschenwort. Der heilige
Geist, so sagt Jesus, muss sie uns auslegen und uns in die Wahrheit
führen.
Wahrheit ist in der Bibel zu entdecken. Wahrheit, die frei macht.
Wahrheit, das ist hier nicht in dem Sinne von wahr und falsch gemeint.
Sondern Wahrheit eher in dem qualitativen Sinn, dass man in der Bibel
Worte findet, die zum Leben helfen. Worte, die weiterbringen.
An Worten fehlt es nicht in unserer gegenwärtigen Welt: Wir leben
in einer Medien- und Informationsgesellschaft. Wir haben eher eine
Inflation der Worte. Und wie es auch bei der Geldinflation ist: Wovon
man zu viel hat, desto weniger ist das einzelne wert. Wir brauchen
weniger Worte, aber dafür hilfreiche Worte. Worte, die weiterbringen.
Worte, die den Kern treffen. Worte, die befreien.
Aus Getauften sollen Glaubende werden
Aber wir sind doch frei. So sagen die Hörer, die Jesus damals
anspricht: Wir sind doch frei. Wir sind Abrahams Kinder, Abrahams
Nachkommen. Die großen Verheißungen Gottes an den Stammvater
Abraham gelten uns doch. Wer will sie rückgängig machen?
Gott ist auf unserer Seite.
Wir sind Abrahams Kinder! Christen könnten sagen: Ich bin getauft.
Gott hat ja zu mir gesagt. Wer will mir das nehmen? Was will mir passieren?
Wie in der Epistel: „Denn ich bin gewiss ...“
Das ist richtig. Mit der Taufe im Rücken, mit Gott an der Seite
kann man in die Zukunft, kann man in das neue Jahr gehen.
Aber es soll auch Gestalt gewinnen im Alltag. Es soll lebendig werden,
spürbar, sichtbar werden im Leben. Aus Getauften sollen Glaubende
werden. Aus Menschen, die evangelisch ihrem Pass stehen haben, sollen
praktizierende Christen werden.
Festigkeit im Glauben gewinnen
Das ist eigentlich kein Tadel, das ist eine Ermutigung. Ich höre
diese Worte nicht so: Reicht es denn Gott nicht, wenn ich mich auf
ihn verlasse? Bin ich ihm nicht genug?
Nein, kein Tadel: Jesus redet zu Glaubenden.
31 Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn
ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei
machen.
Auch Sie sollen diese Worte nicht als Tadel hören: Ist’s
denn nicht genug, dass wir heute im Gottesdienst sind? Müssen
wir schon wieder auf unsere Defizite angesprochen werden? Kann man
es dem Pfarrer, der Kirche und Gott denn nie recht machen?
Kein Tadel, sondern Ermutigung: Dran bleiben am Glauben. Mehr und
mehr hinein finden, immer mehr Festigkeit gewinnen, indem man sich
Lebensworte sagen lässt.
Was heißt das praktisch? Wo sind Lebensworte, ermutigende Worte,
wegweisende Worte, Worte, die in die Freiheit und Gelassenheit führen,
zu finden?
Sie sind zu finden im Gottesdienst mit seinen Lesungen und der Predigt.
Da versucht man, sie auszulegen ins Leben hinein. Sie sind zu finden
beim Lesen der Bibel zu Hause, auch wenn man ohne Auslegung nicht
alles versteht. Sie sind zu finden in Büchern wie dem Losungsheft,
wo für jeden Tag des Jahres zwei Sprüche stehen: An manchen
Tagen passen sie wie die Faust aufs Auge. An manchen Tagen bleiben
sie leer.
Drei mal drei Minuten verändern das Leben
Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so ... werdet ihr die
Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Dranbleiben an der Suche nach Lebensworten. Wie bei allen Neujahrsvorhaben
ist die beste Möglichkeit zu scheitern, sich zu viel vorzunehmen,
die Hürde viel zu hoch zu setzen.
Wichtiger als die Menge, wichtiger als die Zeitdauer ist die Regelmäßigkeit.
Ich verspreche Ihnen: Drei mal drei Minuten am Tag verändern
das Leben. DreiMinuten am Morgen: ein Bibelwort lesen, nachdenken,
was es für den heutigen Tag bedeuten könnte. Ein kurzes
Gebet: „Gott, du weißt, was heute alles ansteht. Schenke
mir Gelingen.“ Punkt. Drei Minuten am Mittag: Innehalten vor
Gott, aufschnaufen, gar nichts sagen, nur still sein. Drei Minuten
am Abend: Noch einmal das Bibelwort anschauen. Fragen: Hat sich was
getan? Ein kurzes Gebet: Danke sagen für den Tag. Klagen, was
beklagenswert ist. Um Vergebung bitten, wo Fehler passiert sind.
Sollte jemand in der Nähe der Kirche wohnen und das Gebetsläuten
hören: Fünf Minuten zu jedem Läuten. Drei mal fünf
Minuten am Tag ändern das Leben. Von mir aus auch: Drei mal drei
Minuten.
Verse von Paul Gerhardt
Wie wir 2006 an Dietrich Bonhoeffer, geboren 1906, erinnert haben,
erinnern wir ab morgen an den Liederdichter Paul Gerhard, geboren
1607.
Deswegen noch ein anderer Vorschlag für die drei mal drei Minuten:
Am Morgen einen Paul-Gerhard-Vers lesen. Einen, mehr nicht. „Befiehl
du deine Wege und was dein Herze kränkt ...“ „Ich
steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben.“ „Nun
lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der
unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.“ „Ich singe dir
mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust“. „Ist Gott
für mich, so trete gleich alles wider mich.“ „Nun
ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städt und Felder.“
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud.“
Ein Vers nur, mehr nicht. Der wird einen den Tag über begleiten.
Und wenn einer gerne singt, dann wird der Vers den Tag über von
alleine in ihm singen.
Nicht die Menge macht’s. Nicht die Zeitdauer ist entscheidend.
Die Regelmäßigkeit ist das Geheimnis. Das Dranbleiben an
Lebensworten. Auch beim Sport gibt es keinen Erfolge ohne Training.
Auch beim Gewicht gibt es keine Fortschritte ohne Konsequenz.
Aber Sie werden erfahren: Solche Worte oder Verse, mit denen man durch
den Tag geht, sie machen freier, sie machen gelassener. |
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