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predigt[e].de

Die Predigt vom 18. November 2007 (Vorl. Sonntag des Kirchenjahres):
»Wie mit Scheuklappen«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, (in den weltlichen Kalendern der Volkstrauertag). Sein Thema ist die Verantwortung jedes Einzelnen vor Gott. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis vom Weltgericht und Epistel (2. Lesung) die Rede des Paulus vom Seufzen der geplagten Schöpfung. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war aus dem Propheten Jeremia Kapitel 8:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
4 So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? 5 Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. 6 Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. 7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.
Predigt
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Die Predigt
Erinnerungen werden wieder wach

Die Älteren unter Ihnen sind heute vielleicht auch hierher gekommen, um etwas zum Volkstrauertag zu hören. So steht es ja für heute in den meisten weltlichen Kalendern. Volkstrauertag, Gedenktag der im Krieg Gefallenen. Bei manchen kommen Erinnerungen hoch: bei denen, die im Krieg aufgewachsen sind, vielleicht selbst im Krieg waren; bei denen, die neben sich Freunde und Gefährten haben sterben sehen; bei denen, die Männer, Brüder oder Väter in diesem Krieg verloren haben, die ihren Vater vielleicht gar nicht kennen gelernt haben.
1923 wurde im Anschluss an den ersten Weltkrieg der Volkstrauertag geschaffen. Die Nationalsozialisten benannten ihn um in „Heldengedenktag“ und wollten die Menschen auf ein neues kriegerisches Heldentum einstimmen. 1952 erhielt dieser Tag seinen ursprünglichen Namen „Volkstrauertag“ zurück. Seitdem wird an diesem Tag all derer gedacht, die in beiden Weltkriegen haben sterben müssen, als Soldaten und in der Zivilbevölkerung, und auch all derer, die unter den Nationalsozialisten umkamen, seien es Juden, Kommunisten, Jehovas Zeugen, Sinti und Roma oder Homosexuelle gewesen. Als Tag der Mahnung wird der Volkstrauertag begangen: der Mahnung, dass so etwas um Gottes Willen nie wieder sein darf.

Sonntag vom Weltgericht

Gegenüber dem, was in den weltlichen Kalendern steht, tritt die kirchliche Bedeutung dieses vorletzten Sonntages im Kirchenjahr leicht zurück. Sonntag vom Weltgericht, Sonntag vom Jüngsten Gericht heißt der heutige Tag. Einmal im Jahr werden wir ganz bewusst daran erinnert, dass wir alle einmal vor Gott Rechenschaft werden ablegen müssen für unser Tun und Lassen.

Volkstrauertag und Sonntag vom Weltgericht. Wie bringen wir beides zusammen? Vielleicht durch den Predigttext für den heutigen Tag. So sagt der Prophet Jeremia den Menschen damals im Auftrag Gottes weiter:
4 So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? 5 Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. 6 Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. 7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.

Ein verlachter Weltuntergangsprophet

Ich versuche mir den Propheten Jeremia vorzustellen, damals, ein paar Jahre vor dem Zusammenbruch des Reiches Israel und der Zerstörung Jerusalems. Ein einsamer Mahner ist er zeitlebens geblieben. Ausgelacht hat man ihn mit seinen Warnungen und Ankündigungen. Er war einer von denen, wo man gleich stöhnt:: „Ach, der schon wieder.“ Erst im nachhinein hat man erkannt, dass man auf ihn hätte hören sollen. Es ging den Menschen gut. So gut zumindest, dass sie in ihrer Mehrheit ihren Gott und seine Gebote, speziell die Gerechtigkeit in der Gesellschaft, vergessen haben. Sicher, es gab politische Spannungen. Der Eroberungszug der Babylonier unter ihrem König Nebukadnezar kam Israel immer näher. Aber man hat darüber hinweggesehen im Vertrauen auf die eigene militärische Stärke und die der Verbündeten.

Die Zeichen der Zeit erkennen

Jeremia steht am Tempel, dort wo die meisten Leute vorbeikommen und fängt ganz harmlos an: „Ihr seht doch die Vögel dort am Himmel: Störche, Tauben, Kraniche, Schwalben. Ihr wisst, dass sie jedes Jahr über uns hinwegfliegen. Ihr wisst: Sie kommen aus dem Norden, aus Europa, und wenn es dort kalt wird, fliegen sie los nach Süden, über uns hinweg nach Afrika. Das wiederholt sich jedes Jahr. Die Vögel wissen, wann es Zeit ist, aufzubrechen und umzukehren. Täten sie es nicht, würden sie umkommen."
„Was soll das? Will er uns heute wohl Biologieunterricht halten", haben die Umstehenden vielleicht gespottet und erst einmal nicht verstanden, was der schrullige Gottesmann von ihnen wollte.
Jeremia weiter: „Noch etwas anderes will ich euch fragen: Wenn einer von euch hinfällt - das kann ja mal passieren -, steht er dann nicht sofort wieder auf und bleibt nicht im Dreck liegen? Oder: Wenn jemand von euch sich verläuft, bleibt er dann nicht sofort stehen, sobald er es merkt und kehrt um, um den richtigen Weg zu suchen?“
„Klar doch“, haben die Leute vielleicht gerufen, „was erzählst du uns das überhaupt? Das ist doch alles selbstverständlich.“

Wie mit Scheuklappen

Und dann sagt Jeremia, worum es ihm geht: „Bei euch ist das alles anscheinend nicht selbstverständlich: Ihr seid auf dem falschen Weg und wollt es nicht wahrhaben. Ihr merkt nicht, wann es Zeit ist, umzukehren wie die Vögel. Wer von Euch seine Augen aufmacht, müsste sehen, wo es hingeht, politisch und auch gesellschaftlich. Für Gott, seine Gebote und für eure Mitmenschen habt ihr kein Auge mehr. Ihr lebt in den Tag hinein und denkt: „Es wird schon gut gehen.“ Keiner denkt über seinen falschen Weg nach. Keiner will einsehen und zugeben, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann. Wie ein Pferd mit Scheuklappen rennt ihr stur geradeaus. Gott weiß nicht, was er mit eurer Sturheit und Blindheit anfangen soll. So viele deutliche Zeichen hat er euch schon gegeben und ihr wollt nicht hören. Wenn es dann zu spät ist, werdet ihr kommen und schreien: Wie kann Gott das zulassen? Gibt es überhaupt einen Gott?"

Warum habt ihr mitgemacht?

Die, für die heute der Volkstrauertag im Mittelpunkt steht, und die sich an die Ereignisse im Dritten Reich erinnern, werden diesen Text vielleicht mit ganz bestimmten Ohren gehört haben: Hat nicht auch damals ein Regime sich so ähnlich verhalten wie es auch Jeremia kritisiert? Ist es nicht ebenso geradeaus gestürmt gegen alle Vernunft und gegen alle Anzeichen eines bösen Endes? Hat es nicht einen Großteil des Volkes mit hineingerissen in diesen Sog?
Ein ganzes Volk war in Bewegung. Aber wenn es um die Verantwortung geht, kann sich niemand hinter anderen verstecken. Wie beim Gleichnis vom Weltgericht ist dann nach dem Krieg mancher gefragt worden: Warum hast du mitgemacht? Warum hast du nicht widersprochen? Was wusstest du damals schon? Hast du vielleicht auch wie mit Scheuklappen nicht sehen wollen? Und manche, wie z.B. beim Schriftsteller Günter Grass geschehen, holen diese Fragen 60 Jahre später noch ein.

Augen zu und durch?

Menschen, die damals nicht gelebt haben, sollen sich hüten, ein Urteil zu fällen, weil sie nicht wissen, wie sie damals gehandelt hätten. Und wir müssen als Christen auch immer wieder der Versuchung widerstehen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Viel wichtiger ist in einem Gottesdienst und beim Hören eines solchen Bibelwortes: Inwiefern könnten wir, könnte ich heute betroffen sein?

Gleichen wir vielleicht auch den Menschen damals in Jerusalem, die Scheuklappen auf hatten und immer geradeaus rannten trotz aller Anzeichen und Vorboten? Scheuklappen hat man den Pferden im Krieg neben die Augen gesetzt, damit sie nicht sehen, was rechts und links geschieht und dann vielleicht ihren Dienst verweigern.
Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.
Übersehen oder verpassen wir vielleicht auch den rechten Zeitpunkt zum Umkehren?
7 Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.
Wollen wir vielleicht vor lauter Stolz auch nicht eingestehen, dass wir auf einem falschen Weg sind?
Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? 5 Warum will denn dies Volk irregehen für und für?

Heute die Zeichen der Zeit erkennen

Was könnten in der heutigen Zeit solche Entwicklungen sein?
Gestern sind die Ergebnisse des Weltklimaberichtes veröffentlicht worden. Danach schreitet die Erderwärmung noch rasanter fort als gedacht. „Furchterregend wie in einem Science-Fiction-Film“ seien die zu erwartenden Folgen.
Oder die Verteilung von Reichtum und Armut in unserer Gesellschaft: Anfang November haben wir gehört, dass 10 Prozent der Bundesbürger zwei Drittel des ganzen Vermögens gehört und dass 50 Prozent überhaupt keine Ersparnisse haben und sozusagen von der Hand in den Mund leben. Welcher gesellschaftliche Sprengstoff kann sich da entwickeln?
Oder die zunehmende Beteiligung Deutschlands an kriegerischer Auseinandersetzungen. Wie tief könnten wir da noch hineinrutschen und wo geht es hin?

Wer weiß, wo wir in den kommenden Jahren einmal selbstkritisch fragen werden: Warum haben wir die Zeichen der Zeit nicht früh genug erkannt? Beziehungsweise: Die Fakten standen in jeder Zeitung. Warum haben wir keine Konsequenzen gezogen?
Und wenn wir nicht selbst fragen, vielleicht fragen uns einmal unsere Kinder und Enkel: Wir konntet ihr damals nur ...?
Und dann wird es sein wie beim Gleichnis vom Weltgericht. Wir werden uns nicht herausreden können mit dem Hinweis auf die Gesellschaft: Na, ja, das war halt damals so. Was hätte man denn als Kleiner tun können? Die Politiker hatten das Sagen. Nein, wir werden jeder Einzelner uns rechtfertigen müssen.
Oder vielleicht treffen uns diese warnenden Worte, dass wir die Anzeichen nicht übersehen und einfach mit Scheuklappen voranstürmen sollen, auch ganz persönlich, z.B. im gesundheitlichen Bereich. Das merkt jemand irgendwelche Anzeichen. Das weiß jemand, dass er eigentlich ungesund lebt. Da spürt jemand, dass er umkehren müsste. Aber er zieht keine Konsequenzen.
„Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun. Gib uns den Mut, voll Glauben, Herr, heute und morgen zu handeln.“ Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de