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predigt[e].de

Die Predigt vom 3. August 2008 (11. Sonntag nach Trinitatis):
»Du bist gemeint!«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 11. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist Hochmut und Demut. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner und Epistel (2. Lesung) der Verweis auf Gottes Gnade. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war aus dem 2. Buch Samuel:
Predigttext
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Der Predigttext
1 Der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.
7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazu tun. 9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei.
13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. 15 Und Nathan ging heim.
Predigt
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Die Predigt
Lauter arme Sünder

Es gibt nicht wenige Gottesdienstbesucher, die haben ihre Probleme mit dem sog. Confiteor, dem Sündenbekenntnis zu Beginn des Gottesdienstes: Da kommt man in den Gottesdienst, will aufgebaut und gestärkt werden, aber man kriegt gleich erst einmal eins drauf und es wird einem die eigene Sündhaftigkeit vorgehalten. „Der allmächtige Gott erbarme sich unser. Er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben.“
Ja, manche mutmaßen sogar, das sei die Masche der Kirche: Sie mache den Menschen bewusst klein, damit er sie dann braucht, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen.
Vielleicht haben wir als Pfarrer ganz einfach nicht oft genug – oder gar nicht – erklärt, was es mit dieser sog. „Offenen Schuld“ zu Beginn des Gottesdienstes auf sich hat. Es geht nicht um konkrete Dinge, die ich schon wieder falsch gemacht habe. Es ist keine Beichte. Es geht um die Einsicht, dass ich als Mensch im Grunde meines Herzens ein Egoist bin, der seinen eigenen Vorteil sucht. Und ich darf in jedem Gottesdienst neu staunen, dass Gott mich trotzdem so nimmt, wie ich bin.
Ich werde eingeladen, das selbst zu entdecken, ohne dass jemand mit dem erhobenen Zeigefinger kommt. Denn so geht es den meisten: Wenn mir jemand etwas vorhält, dann verteidige ich mich erst einmal. Ich kann es nicht einfach auf mir sitzen lassen. Ich gebe mir ungern vor anderen eine Blöße. Aber wenn ich mich selbst entdecke, dann gibt es nichts mehr zu verstecken.
Eine Geschichte, wo jemand sich selbst entdeckt: (Text siehe oben.)

Die Bibel beschönigt nichts

Eine Geschichte vom Habenwollen. Eine Geschichte von der Gier. Aber auch eine Geschichte von der Einsicht in die eigenen Abgründe. Eine Geschichte von Reue und Vergebung.
Die Abgründe des Egoismus und des Versagens werden uns in unserer Bibel gerade an den wichtigsten und bekanntesten Menschen aufgezeigt. Auch deswegen, wegen dieser unverblümten Ehrlichkeit, ist sie mir so sympathisch.
Ich denke an den großen Petrus, der immer zum engsten Jüngerkreis gehörte, der nach Jesu Tod zum Leiter der Gemeinde wurde, auf den die katholische Kirche sich in ihrem Papsttum beruft. Ich denke an seine großspurigen Worte, dass er Jesus niemals verlassen würde und wie er ihn dann verleugnet hat, um seine Haut zu retten. Doch Jesus braucht gerade diesen reumütigen Versager.
Nicht anders hier mit David: Er ist in der Erinnerung seines jüdischen Volks bis heute der König schlechthin. Aus seinen Nachkommen soll der Messias, der Christus kommen. Und was wird von ihm berichtet: Anstiftung zum Mord und Ehebruch, Ausnutzung seiner Machtstellung. Es wäre sicher nicht schwer gewesen, solche negativen Erinnerungen beim Weitererzählen wegzulassen und die Erinnerung zu beschönigen. Wie oft sind in der politischen Geschichte die Lebensläufe frisiert worden.

Der König als Verbrecher

Wenn ich solche Geschichten höre, darf ich als Hörer aufatmen und sagen: Auch die Großen waren nicht ohne Sünde. Und: Gott braucht keine Heiligen, sondern ehrliche Menschen, die sich ihrer Grenzen bewusst sind und neu anfangen.
Das lese ich auch heraus aus dem Evangelium vom Pharisäer und Zöllner, das Sie gehört haben: Nicht weil er ein guter Mensch gewesen wäre, hat Jesus den Zöllner gerecht gesprochen, sondern weil er grundehrlich war vor Gott und sich selbst.
Wie war es bei David? Sie kennen die Geschichte vielleicht: Paulus sieht vom Dach seines Palastes aus eine schöne Frau. Er will sie haben. Ein König darf haben, was er will. Er erkundigt sich nach ihr und erfährt, dass sie die Frau eines seiner Soldaten ist. Er lässt sie kommen und sie wird schwanger von ihm. Um die Sache zu vertuschen, gibt er ihrem Mann Heimaturlaub. Er soll zu seiner Frau nach Hause. Dann würde die Schwangerschaft keinen Verdacht erregen. Die List geht schief: Der Mann will sich aus Solidarität nicht mit seiner Frau vergnügen, während seine Kameraden im Krieg sind. So lässt ihn David an die vorderste Front beordern, wo er unweigerlich sterben würde. Das geschieht, und nach einer Schamfrist macht David Bathseba zu seiner Frau.

Sich die Augen öffnen lassen

Ein König darf das. Und wehe, ein Untergebener hätte das kritisiert. Und nun kommt Nathan zu ihm, um ihm jene Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte vom Habenwollen. Habenwollen macht blind. Da zählen auf einmal weder Recht und Gesetz, noch Geld, noch Liebe, noch Ehre, noch Vernunft. Zu welch durchdachten Listen anständige und stinknormale Menschen auf einmal fähig werden, um das zu bekommen, was sie haben möchten, das kann man in Filmen sehen und täglich in der Zeitung lesen.
Habenwollen macht blind. In einer solchen Lage, wo man sich selbst nicht mehr richtig sieht, braucht man Kritik von außen, von einem unbeteiligten Dritten. Er muss dem Blinden die Augen öffnen. Er muss ihm helfen, sein Wissen um gut und böse wiederzugewinnen.
Hätte der Prophet Nathan dem David ohne Umschweife auf den Kopf hin Ehebruch und Mord vorgeworfen, ich weiß nicht, was passiert wäre. Mancher unbequeme Prophet hat damals vor dem König als Herrn über Leben und Tod seinen Kopf verloren. Denken wir nur an Johannes den Täufer. Vielleicht wäre auch Nathan so geendet. Auf keinen Fall wäre David zu Selbsterkenntnis und Reue geführt worden.
Eine Art Verfremdungseffekt hat weitergeholfen. Wie ein guter Seelsorger erzählt Nathan eine Geschichte, scheinbar nebensächlich, scheinbar in keinem Zusammenhang mit David. Er packt David bei seiner Ehre. Er spricht ihn an als König, als höchste Instanz. Er soll das Urteil sprechen in der scheinbar fremden Angelegenheit. Ja, wenn es um andere geht, da wissen wir plötzlich ganz genau, was Recht und Unrecht ist, gut und böse. „So wahr der Herr lebt, der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat.“ Und dann der Höhepunkt, auf den alles zuläuft: „Du bist der Mann!“
Da gibt es kein Herausreden mehr. David hat sich unwissend selbst das Urteil gesprochen. Gegen ein fremdes Urteil könnte man sich wehren, Ausreden erfinden, sich hin und her winden. Doch gegen das eigene? Einmal ausgesprochen, steht es da.

Zu einer Schuld stehen

Leider wir dieses Sprichwort allzu oft im Spaß verwendet: „Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung.“ Doch es stimmt. Nur sie führt wirklich weiter.
Wenn die Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung ist, dann ist das öffentliche Schuldbekenntnis vor einem anderen der zweite Schritt zur Besserung. Bei David war es so. Es gibt kein Ausweichen mehr. Es bleibt ihm nur noch, seine Schuld vor sich selbst, vor Nathan und vor Gott ohne Umschweife und ohne Beschönigung laut zu bekennen.
Und dann die überraschende Wende: Weil er diese tiefe Einsicht hat, darf Nathan im Namen Gottes dem David weitersagen, dass damit seine Schuld weggenommen ist. Er muss nicht sterben. Er muss das von ihm selbst ausgesuchte Urteil nicht auf sich nehmen. Gottlob: Gott ist nicht geprägt von Härte, von Wiedergutmachung, von Rache, von Auge um Auge. Gottlob fällt das Urteil, das wir manchmal über andere fällen, nicht auf uns selbst zurück.

Gott und die Resozialisierung

Mit Ausdrücken aus dem Strafvollzug könnte man sagen: Gott vertritt uns Menschen gegenüber nicht das Prinzip der Sühne, sondern das der Resozialisierung: Ein demütig gewordener König, der nun besser als zuvor sieht, was recht und gut ist, und der sich dann auch über andere erbarmen kann, dient Gott auf dieser Erde mehr als ein toter König.
Ein resozialisierter, ein veränderter Mensch dient der Gemeinschaft mehr als ein durch die Härte des Gesetzes gestrafter und gedemütigter, der innerlich doch nur auf Rache sinnt.
Und in der Gemeinde ist es wohl nicht anders: Gott braucht sicher auch die Heiligen, aber noch mehr braucht er die Petrusse und die Davids, die sich ihrer Grenzen und ihrer Schuld bewusst werden und sich dann von ihm neu in den Dienst nehmen lassen. Wer Gottes Gnade an sich entdeckt hat, der wird dann auch anderen gegenüber gnädiger sein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de