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Die Predigt |
Lauter arme Sünder
Es gibt nicht wenige Gottesdienstbesucher, die haben ihre Probleme
mit dem sog. Confiteor, dem Sündenbekenntnis zu Beginn des Gottesdienstes:
Da kommt man in den Gottesdienst, will aufgebaut und gestärkt
werden, aber man kriegt gleich erst einmal eins drauf und es wird
einem die eigene Sündhaftigkeit vorgehalten. „Der allmächtige
Gott erbarme sich unser. Er vergebe uns unsere Sünde und führe
uns zum ewigen Leben.“
Ja, manche mutmaßen sogar, das sei die Masche der Kirche: Sie
mache den Menschen bewusst klein, damit er sie dann braucht, um aus
dem Schlamassel wieder herauszukommen.
Vielleicht haben wir als Pfarrer ganz einfach nicht oft genug –
oder gar nicht – erklärt, was es mit dieser sog. „Offenen
Schuld“ zu Beginn des Gottesdienstes auf sich hat. Es geht nicht
um konkrete Dinge, die ich schon wieder falsch gemacht habe. Es ist
keine Beichte. Es geht um die Einsicht, dass ich als Mensch im Grunde
meines Herzens ein Egoist bin, der seinen eigenen Vorteil sucht. Und
ich darf in jedem Gottesdienst neu staunen, dass Gott mich trotzdem
so nimmt, wie ich bin.
Ich werde eingeladen, das selbst zu entdecken, ohne dass jemand mit
dem erhobenen Zeigefinger kommt. Denn so geht es den meisten: Wenn
mir jemand etwas vorhält, dann verteidige ich mich erst einmal.
Ich kann es nicht einfach auf mir sitzen lassen. Ich gebe mir ungern
vor anderen eine Blöße. Aber wenn ich mich selbst entdecke,
dann gibt es nichts mehr zu verstecken.
Eine Geschichte, wo jemand sich selbst entdeckt: (Text siehe oben.)
Die Bibel beschönigt nichts
Eine Geschichte vom Habenwollen. Eine Geschichte von der Gier. Aber
auch eine Geschichte von der Einsicht in die eigenen Abgründe.
Eine Geschichte von Reue und Vergebung.
Die Abgründe des Egoismus und des Versagens werden uns in unserer
Bibel gerade an den wichtigsten und bekanntesten Menschen aufgezeigt.
Auch deswegen, wegen dieser unverblümten Ehrlichkeit, ist sie
mir so sympathisch.
Ich denke an den großen Petrus, der immer zum engsten Jüngerkreis
gehörte, der nach Jesu Tod zum Leiter der Gemeinde wurde, auf
den die katholische Kirche sich in ihrem Papsttum beruft. Ich denke
an seine großspurigen Worte, dass er Jesus niemals verlassen
würde und wie er ihn dann verleugnet hat, um seine Haut zu retten.
Doch Jesus braucht gerade diesen reumütigen Versager.
Nicht anders hier mit David: Er ist in der Erinnerung seines jüdischen
Volks bis heute der König schlechthin. Aus seinen Nachkommen
soll der Messias, der Christus kommen. Und was wird von ihm berichtet:
Anstiftung zum Mord und Ehebruch, Ausnutzung seiner Machtstellung.
Es wäre sicher nicht schwer gewesen, solche negativen Erinnerungen
beim Weitererzählen wegzulassen und die Erinnerung zu beschönigen.
Wie oft sind in der politischen Geschichte die Lebensläufe frisiert
worden.
Der König als Verbrecher
Wenn ich solche Geschichten höre, darf ich als Hörer aufatmen
und sagen: Auch die Großen waren nicht ohne Sünde. Und:
Gott braucht keine Heiligen, sondern ehrliche Menschen, die sich ihrer
Grenzen bewusst sind und neu anfangen.
Das lese ich auch heraus aus dem Evangelium vom Pharisäer und
Zöllner, das Sie gehört haben: Nicht weil er ein guter Mensch
gewesen wäre, hat Jesus den Zöllner gerecht gesprochen,
sondern weil er grundehrlich war vor Gott und sich selbst.
Wie war es bei David? Sie kennen die Geschichte vielleicht: Paulus
sieht vom Dach seines Palastes aus eine schöne Frau. Er will
sie haben. Ein König darf haben, was er will. Er erkundigt sich
nach ihr und erfährt, dass sie die Frau eines seiner Soldaten
ist. Er lässt sie kommen und sie wird schwanger von ihm. Um die
Sache zu vertuschen, gibt er ihrem Mann Heimaturlaub. Er soll zu seiner
Frau nach Hause. Dann würde die Schwangerschaft keinen Verdacht
erregen. Die List geht schief: Der Mann will sich aus Solidarität
nicht mit seiner Frau vergnügen, während seine Kameraden
im Krieg sind. So lässt ihn David an die vorderste Front beordern,
wo er unweigerlich sterben würde. Das geschieht, und nach einer
Schamfrist macht David Bathseba zu seiner Frau.
Sich die Augen öffnen lassen
Ein König darf das. Und wehe, ein Untergebener hätte das
kritisiert. Und nun kommt Nathan zu ihm, um ihm jene Geschichte zu
erzählen. Eine Geschichte vom Habenwollen. Habenwollen macht
blind. Da zählen auf einmal weder Recht und Gesetz, noch Geld,
noch Liebe, noch Ehre, noch Vernunft. Zu welch durchdachten Listen
anständige und stinknormale Menschen auf einmal fähig werden,
um das zu bekommen, was sie haben möchten, das kann man in Filmen
sehen und täglich in der Zeitung lesen.
Habenwollen macht blind. In einer solchen Lage, wo man sich selbst
nicht mehr richtig sieht, braucht man Kritik von außen, von
einem unbeteiligten Dritten. Er muss dem Blinden die Augen öffnen.
Er muss ihm helfen, sein Wissen um gut und böse wiederzugewinnen.
Hätte der Prophet Nathan dem David ohne Umschweife auf den Kopf
hin Ehebruch und Mord vorgeworfen, ich weiß nicht, was passiert
wäre. Mancher unbequeme Prophet hat damals vor dem König
als Herrn über Leben und Tod seinen Kopf verloren. Denken wir
nur an Johannes den Täufer. Vielleicht wäre auch Nathan
so geendet. Auf keinen Fall wäre David zu Selbsterkenntnis und
Reue geführt worden.
Eine Art Verfremdungseffekt hat weitergeholfen. Wie ein guter Seelsorger
erzählt Nathan eine Geschichte, scheinbar nebensächlich,
scheinbar in keinem Zusammenhang mit David. Er packt David bei seiner
Ehre. Er spricht ihn an als König, als höchste Instanz.
Er soll das Urteil sprechen in der scheinbar fremden Angelegenheit.
Ja, wenn es um andere geht, da wissen wir plötzlich ganz genau,
was Recht und Unrecht ist, gut und böse. „So wahr der Herr
lebt, der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat.“ Und
dann der Höhepunkt, auf den alles zuläuft: „Du bist
der Mann!“
Da gibt es kein Herausreden mehr. David hat sich unwissend selbst
das Urteil gesprochen. Gegen ein fremdes Urteil könnte man sich
wehren, Ausreden erfinden, sich hin und her winden. Doch gegen das
eigene? Einmal ausgesprochen, steht es da.
Zu einer Schuld stehen
Leider wir dieses Sprichwort allzu oft im Spaß verwendet: „Selbsterkenntnis
ist der erste Weg zur Besserung.“ Doch es stimmt. Nur sie führt
wirklich weiter.
Wenn die Selbsterkenntnis der erste Weg zur Besserung ist, dann ist
das öffentliche Schuldbekenntnis vor einem anderen der zweite
Schritt zur Besserung. Bei David war es so. Es gibt kein Ausweichen
mehr. Es bleibt ihm nur noch, seine Schuld vor sich selbst, vor Nathan
und vor Gott ohne Umschweife und ohne Beschönigung laut zu bekennen.
Und dann die überraschende Wende: Weil er diese tiefe Einsicht
hat, darf Nathan im Namen Gottes dem David weitersagen, dass damit
seine Schuld weggenommen ist. Er muss nicht sterben. Er muss das von
ihm selbst ausgesuchte Urteil nicht auf sich nehmen. Gottlob: Gott
ist nicht geprägt von Härte, von Wiedergutmachung, von Rache,
von Auge um Auge. Gottlob fällt das Urteil, das wir manchmal
über andere fällen, nicht auf uns selbst zurück.
Gott und die Resozialisierung
Mit Ausdrücken aus dem Strafvollzug könnte man sagen: Gott
vertritt uns Menschen gegenüber nicht das Prinzip der Sühne,
sondern das der Resozialisierung: Ein demütig gewordener König,
der nun besser als zuvor sieht, was recht und gut ist, und der sich
dann auch über andere erbarmen kann, dient Gott auf dieser Erde
mehr als ein toter König.
Ein resozialisierter, ein veränderter Mensch dient der Gemeinschaft
mehr als ein durch die Härte des Gesetzes gestrafter und gedemütigter,
der innerlich doch nur auf Rache sinnt.
Und in der Gemeinde ist es wohl nicht anders: Gott braucht sicher
auch die Heiligen, aber noch mehr braucht er die Petrusse und die
Davids, die sich ihrer Grenzen und ihrer Schuld bewusst werden und
sich dann von ihm neu in den Dienst nehmen lassen. Wer Gottes Gnade
an sich entdeckt hat, der wird dann auch anderen gegenüber gnädiger
sein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen |
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