|
Die Predigt |
Die bösen
Pharisäer und Schriftgelehrten
Von der Mehrheit seiner Zeitgenossen wurde Jesus als Messias, als
der versprochene und erhoffte Retter, abgelehnt. Hüten wir uns
vor der Versuchung, aus unserer heutigen Warte zu sagen: "Wie
konnten sie nur! Ja, wenn wir damals gelebt hätten ...!"
Es drängt mich, die Pharisäer und Schriftgelehrten in dieser
Erzählung zu
verteidigen: Nicht gegen den Angriff Jesu, aber gegen uns heute, die
wir zuhören wie unbeteiligte Zuschauer eines Streites, der uns
nichts angeht. Die Pharisäer und Schriftgelehrten, das sind die
Bösen. Das wussten wir schon immer. Heuchler, Jesusmörder.
Schublade auf. Pharisäer und Schriftgelehrte rein. Schublade
zu.
Es drängt mich, die Pharisäer zu verteidigen: Sie waren
die Frommen der damaligen Zeit, wie die manchmal so genannten 150-prozentigen
der heutigen Zeit. Sie haben den Gott des Alten Testamentes sehr sehr
ernst
genommen. Sie haben ihr Leben konsequent geführt. Aber bei allem
Ernst waren Hochmut, Hartherzigkeit und Abgrenzung ihre ständige
Versuchung. Pharisäer, das Wort bedeutet: die Abgesonderten.
Viele von ihnen haben das
ursprüngliche Schimpfwort als Kompliment verstanden.
Es drängt mich, die Schriftgelehrten zu verteidigen. Ihr Aufgabe
als Studierte und in der Schrift Bewanderte war es, den Glauben zu
lehren und ihn rein zu halten. Bei allem Ernst war das gelehrte Scheuklappentum
ihre ständige
Versuchung. Der Blick auf Gott hinter den Buchstaben der Heiligen
Schrift verstellte ihnen den Blick auf den lebendigen Gott, der ihnen
damals in Jesus begegnete.
Jesus soll sich legitimieren
Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern
an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen
von dir sehen.
Sie haben recht: Da kann nicht einfach jeder daherkommen und göttliche
Vollmacht beanspruchen. Und Jesus nahm nun einmal in Anspruch, in
Gottes Namen zu reden, in seinem Namen zu vergeben, in seinem Namen
Grenzen einzureißen und auch Grenzen ziehen. Aus ihrer Sicht
weichte er alle Maßstäbe von Gerechtigkeit, Zucht und Ordnung
auf. Er machte durch seinen Umgang Menschen salonfähig, mit denen
man aus gutem Grund, gesellschaftlich und religiös, keinen Kontakt
hatte. Wollte man sich nicht auf einen Volksverführer einlassen,
war es ihre Pflicht, nach einem Zeichen, nach einer Beglaubigung durch
Gott zu fragen.
Es drängt mich, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die
für den lebendigen Gott blind waren, gegen uns Zuschauer zu verteidigen:
Wir sind Zuschauer von einer höheren Warte. Wir sehen die Geschichte
von ihrem Ausgang her,
durch die Brille der Auferstehung sozusagen. Und wir sind in der Gefahr
zu denken: "Wie konnten sie nur? Ja, wenn wir damals an ihrer
Stelle gewesen wären! Ja, wenn wir das Privileg gehabt hätten,
ihm lebendig zu begegnen ...!" Aber hätten wir nicht genauso
bei seinem Einzug mit der Menge "Hosianna" gerufen, um dann
fünf Tage später in das "Kreuzige, kreuzige" einzustimmen?
Wir und die anderen
Und er antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und abtrünniges
Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben
werden.
Es drängt mich, die Pharisäer und Schriftgelehrten als Vertreter
einer treulosen und bundesbrüchigen Generation zu verteidigen.
Nicht gegen diesen Vorwurf Jesu, sondern gegen die, die heute jammern
über die unchristliche Zeit, die fehlende Kirchlichkeit und das
Interesse an allen möglichen Heilsangeboten, nur nicht dem Heil
in Jesus Christus. Das Jammern birgt die Gefahr in sich, dass man
sich selbst immer nur bestätigt, sich automatisch natürlich
unter die Guten einordnet, und gegen das Bejammerte eigentlich nichts
tut.
Jesus weist damals die, die sich selbstgenügsam ihres Glaubens
so sicher waren, darauf hin, dass Gott Glauben wirken könnte
bei denen, wo man es nicht erwartet: Die Menschen in Ninive, fern
von Israel, die durch die Predigt
des Propheten Jona aufgerüttelt wurden und umkehrten. Und er
erinnert an die Königin von Saba, die sich auf den Weg machte,
den wegen seiner Weisheit gerühmten König Salomo aufzusuchen.
Wo ist heute Ninive, wo ist Saba? Woran liegt es? Ist es vielleicht
unsere europäische Sattheit, das Jammern auf hohem Niveau, dass
der christliche Glaube anderswo auf der Welt, in Afrika und Lateinamerika
z.B., deutlich sichtbar wächst, während er bei uns stagniert?
Und wer weiß, wieviel verborgener Glaube auch bei den Zeitgenossen
ist, die nicht in unserem kirchlichen Sinn gläubig sind?
Auch die Jünger haben nichts begriffen
Noch einmal drängt es mich, die Pharisäer und die Schriftgelehrten,
die blind waren für Jesus, zu verteidigen. Und zwar deswegen,
weil am Ende auch diejenigen, die dauernd um ihn herum waren, seine
Jünger, nicht mehr begriffen haben als sie. Stereotyp heißt
es in den Evangelien immer wieder, dass die Jünger nicht verstanden,
wenn Jesus ihnen vom Sinn seines
Weges erzählte.
Ganz typisch erleben wir es bei den beiden sogenannten Emmausjüngern,
die ihm als dem Auferstandenen begegnen, und deren Augen, wie Luther
übersetzt, gehalten waren: Nicht einmal sie verstehen das Zeichen
des Jona, von dem Jesus hier redet: Die drei Tage und drei Nächte,
die der Prophet Jona im Fischbauch war, bis er wieder das Licht und
das Land sehen durfte, als ein Hinweis auf Jesu Auferstehung am dritten
Tag.
Sie gehen mit dem Auferstandenen und sie erkennen ihn nicht. Er selber
legt ihnen die Schrift aus, und es geht ihnen kein Licht auf. Nicht
mehr und nicht weniger als für die Pharisäer war auch für
sie der Gekreuzigte ein
Gescheiterter. Sie erkennen ihn erst, als sie mit ihm am Tisch sitzen
und er mit dem Brechen des Brotes Gemeinschaft stiftet.
Oder Maria Magdalena, die traurig im Garten sitzt und ihn für
den Gärtner hält: Als er sie beim Namen ruft, gehen ihr
die Augen auf.
Beweise für den Glauben?
Ich verstehe das so, dass wir keine Zeichen und Beweise für den
Glauben zur Verfügung haben als nur den sogenannten Erfahrungs"beweis".
(Beweis in Anführungszeichen.) Es gibt keinen allgemeinen Beweis,
außer man lässt sich auf eine persönliche Begegnung
mit Gott ein. Das ist der springende Punkt, sowohl für die Pharisäer
damals als auch für uns heute: Ihre Forderung nach einem Zeichen
dreht Jesus um. Nicht: "Tu ein Wunder, dann werden wir an dich
glauben." Sondern: "Glaubt mir, dann werdet ihr Wunder erleben."
Und so gibt es ganz gewiss Zeichen und Wunder, aber nur für den,
der die offenen Augen dafür hat. Und mancher kann eine ganze
Menge davon erleben, und es geht ihm dennoch kein Licht auf.
Es geht nur mit einem Vertrauensvorschuss
Noch einmal mit anderen Worten in dem Bild, das Jesus hier verwendet:
Als abtrünnig, wörtlich ehebrüchig, bezeichnet Jesus
die Pharisäer und Schriftgelehrten und ihre Generation, und er
erinnert damit an den Bund, den Gott mit Israel geschlossen hat.
Das erinnert an den Ehebund, der von denselben Grundlagen lebt: Aus
dem gegenseitigen Vertrauen heraus gibt es ganz gewiss Erweise und
Beweise von Treue und Liebe. Doch wenn einer vom anderen Beweise fordert,
damit er vertrauen und lieben kann, dann ist die gemeinsame Basis
schon erschüttert. Wer von Hause aus misstraut, dem reicht kein
Beweis, welchen man auch bringen mag. Wer aber einen Vertrauensvorschuss
gibt, der kann was erleben.
Das Zeichen des Jona im eigenen Leben erleben: Durch das Dunkel hindurch
geduldig auf das Licht warten. Erleben, wie im geduldigen Ausharren
sich Wege und Lösungen auftun können. Das Geheimnis des
dritten Tages erleben. Mit den Worten der Dichterin Marie Luise Kaschnitz:
Die Auferstehung mitten am Tage. (Textblatt)
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen |
|