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Die Predigt |
Echte Hirten und
schlechte Hirten
Gar kein leichtes Amt, das Gott da dem Propheten Hesekiel zugedacht
hatte: "Du Menschenkind, predige gegen die Hirten Israels,
predige und sprich zu ihnen: So spricht der Herr: Wehe den Hirten
Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde
weiden?"
Eine gefährliche Sache, sich hinzustellen und den Mächtigen
seiner Zeit so unverblümt einen Spiegel vorzuhalten. Ein Prophet
damals zur Zeit des Alten Testaments war nicht, was das Wort heute
meistens meint, einer der die Zukunft vorhergesagt hat. Propheten
waren Kritiker im Auftrag Gottes. Sie machten öffentlich, was
sich niemand anzusprechen traute. Es gab ja damals keine Demokratie,
keine freie Presse. Man vermutet, dass mancher von ihnen heimlich
und schnell von der Bildfläche verschwunden ist, so
dass von ihnen gar keine Worte in der Bibel überliefert sind.
Von Hirten ist hier die Rede, von Hirten, die versagt haben. Hirten,
damit waren damals in Israel die politischen und die geistlichen Führer
gemeint; Menschen, auf die sich das Volk nach dem Willen Gottes hätte
verlassen sollen. Sie sollten nicht eigenmächtig handeln. Gott
hatte ihnen sein Volk anvertraut, so wie die Bauern eines ganzen Dorfes
damals ihre Tiere
einem Hirten anvertrauten. Wir haben es im Evangelium
gehört: Da gab es
Hirten, für die war ihr Beruf eine Berufung. Und es gab „Mietlinge“,
wie Luther übersetzt, gemietete, angestellte Hirten, denen es
v.a. um den Verdienst ging. Demokratie war vor zweieinhalb tausend
Jahren ein Fremdwort. Aber von den Königen als Hirten erwartete
man Sorge für Gerechtigkeit, Sorge für die Benachteiligten
und die am Rand Stehenden. Wie ein guter Hirte sollten sie sich vor
allem um die kümmern, die in der großen Gemeinschaft verlorenzugehen
drohten.
Politiker, die in die eigene Tasche wirtschaften
Und nun soll Hesekiel diesen Führern des Volkes sagen: Ihr habt
euer Hirtenamt missbraucht, habt in die eigene Tasche gewirtschaftet,
habt nur für euren Vorteil gesorgt: "Ihr esst das Fett
und kleidet euch mit Wolle und schlachtet das Gemästete, aber
die Schafe wollt ihr nicht weiden."
Ohne dass ich die Politikverdrossenheit noch verstärken will:
Es drängt sich einem wahrscheinlich in jeder Generation neu auf,
diese alten Worte auch auf die eigene Zeit zu übertragen. Wird
nicht über dem Sparen, das wir heute alle wohl oder übel
lernen müssen, immer wieder bemängelt, dass die Politiker
und auch die Wirtschaftsbosse eher mit schlechtem Beispiel vorangehen?
Hat man nicht öfter so ein unbestimmtes Gefühl, dass manche
Politiker es
sehr gut verstehen, für sich selbst zu sorgen? Dass sie Wasser
predigen und Wein trinken. Dass auf einmal große Einigkeit da
ist, wenn es um die Erhöhung der Diäten geht. Und dann noch
solche Nachrichten, dass sogar der Präsident des Steuerzahlerbundes
drei Gehälter einsteckt.
Vorsicht vor Stammtischparolen!
Genug davon! Die Stammtischreden über andere sind zwar sehr reizvoll,
und man bekommt auch schnell Beifall, aber sie sind doch sehr gefährlich.
Zum einen sind sie gefährlich, weil wir beim Reden über
die Politiker meist sehr
pauschal urteilen. Es gibt, Gott sei Dank, viele, die mit der Last
ihres Amtes
verantwortungsvoll umgehen. Es gibt welche, für die ihr Beruf
Berufung ist.
Und zum anderen sind Stammtischreden gefährlich, weil man im
Blick auf andere leicht sich selbst vergisst. Und das ist, geistlich
gesehen, die noch größere Gefahr: Wir alle, fast ohne Ausnahme,
haben in unserem Alltag auch irgendwelche Hirtenaufgaben im weitesten
Sinn, Aufgaben, wo wir für andere
verantwortlich sind: Menschen sind uns anvertraut. Menschen verlassen
sich auf uns: Eltern tragen Verantwortung für Ihre Kinder, Großeltern
für die Enkel; oder auch andersheum die mittlere Generation für
die pflegebedürftige
ältere Generation. Erwachsene sind, ob Sie es wollen oder nicht,
Vorbilder für die Jugendlichen. Vorgesetzte im Betrieb oder im
Büro haben mehr Macht über Menschen und Karrieren, als man
es sich manchmal eingesteht. Lehrherren und Ausbilder prägen
junge Menschen. Als Silberne Konfirmanden, die vom Alter her mitten
im Leben stehen, kennen Sie das
vermutlich auch.
Von der Versuchung der Macht
Auch wenn wir also keine Politiker sind, auch wenn nur wenig Macht
und nur wenig Geld durch unsere Hände gehen, dürfen wir
die Worte des Hesekiel nicht von uns wegschieben und nur auf die sog.
anderen beziehen:
"Wehe den Hirten, die sich selbst weiden! Ich will meine
Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen,
dass sie Hirten sind und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden."
Keiner von uns ist vor der Versuchung der Macht gefeit, und sei es
nur die Macht über ein Kind, einen Schüler, einen Lehrling
oder einen alten oder pflegebedürftigen Menschen, der auf einen
angewiesen ist.
Gott ist ein Gott der Enttäuschten
Gott ist ein Gott der Vernachlässigten, ein Gott derer, um die
sich niemand kümmert. Er spricht hier in der Botschaft des Hesekiel
sein Machtwort gegen alle Ungerechtigkeit. Und mag es in der Welt
auch oft genug nicht so aussehen, er wird sich durchsetzen und den
Benachteiligten Gerechtigkeit schaffen. Das ist das eigentliche Zentrum
dieses Textes, das Evangelium, die gute Botschaft: Es geht weniger
um die Kritik an falschen Hirten, sondern das Wort des Hesekiel will
eine Ermutigung sein für alle, die von anderen
Menschen enttäuscht sind; für alle, die nicht mehr an die
Gerechtigkeit dieser Welt und der Menschen glauben können, weil
sie von Poltikern
und Führern zu oft enttäuscht wurden. All denen sagt Hesekiel:
Egal, was ihr mit Menschen erlebt, Gott ist einer, auf den man sich
voll und ganz verlassen kann: Er ist so, wie Hirten eigentlich sein
sollten. "Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen
und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von der
Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen. Sie irren umher
auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über
das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt
oder auf sie achtet."
Vorbilder gesucht!
Was hier von Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit gesagt wird,
scheint mir
ebenfalls sehr modern. Genügend gibt es, die in der Vielfalt
der Meinungen, der Medien, der Programme und Heilsangebote wie Verirrte
umherlaufen. Suchende stolpern v.a. in den Großstädten
von einer Sekte zur anderen.
"Und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet",
sagt Hesekiel.
Dass so viele fragende Menschen heute ohne Antwort bleiben, ist auf
jeden Fall auch eine Anfrage an die Kirche, an ihre Pfarrer und Gemeindeglieder.
Ganz offenbar kommen wir unserer gemeinsamen christlichen Hirtenaufgabe
nicht richtig nach, anderen den Weg zu weisen, und anderen Vorbild
zu sein. Christlicher Glaube ist ja nicht dazu da, jemanden zu gängeln
oder zu entmündigen, sondern Sinn anzubieten. Und Gott will nicht,
dass jemand unter uns ohne Sinn und ohne Vertrauen durch sein Leben
gehen muss: "Ich will das Verlorene wieder suchen und das
Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache
stärken."
Man kann zum verstorbenen Papst und zur Berichterstattung der letzten
Tage verschiedener Meinung sein. Aber eines ist doch ganz deutlich
geworden: Mehr Menschen als man denkt, und v.a. junge, suchen Hirten
im guten Sinn, suchen Leitfiguren, echte und glaubwürdige Vorbilder,
die einen Weg nicht nur zeigen, sondern auch selber gehen.
Sich führen lassen!?
Das ist die andere Seite der Worte des Ezechiel. Im Bild: Wir sind
nicht nur Hirten, wir sind auch immer wieder selber die Schafe. Auf
deutsch: Wir haben es auch selber nötig, dass Gott uns immer
wieder nachgeht, uns sucht und findet. Es gibt Zeiten, da sind wir,
wie es hier heißt, verirrt, verwundet oder schwach. Wir haben
Stärkung nötig. Es sind Wunden oder
Verletzungen da, die verbunden werden müssen. Da tut es gut,
diese Verse auch ganz bewusst als persönliche Botschaft zu hören:
"Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen
und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken. Ja, ihr
sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer
Gott sein, spricht Gott der Herr." Jeder Gottesdienst, jedes
Abendmahl wie heute ist sozusagen eine geduldig ausgestreckte Hand
Gottes. |
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