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Die Predigt vom 10. April 2005 (Misericordias Domini / Silberne Konfirmation):
»Vorbilder gesucht«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag nach Ostern. Er trägt den Namen „Misericordias Domini“ (auch „Hirtensonntag“). Sein Thema ist der Gute Hirte. Evangelium (1. Lesung) war die Selbstvorstellung von Jesus als guter Hirte und Epistel (2. Lesung) ein Abschnitt aus dem Hebräerbrief zum gleichen Thema. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Kritik des Propheten Ezechiel an den falschen Hirten seiner Zeit:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
34 1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR:
Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 3 Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 4 Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 5 Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 6 Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet.
10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.
11 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 13 Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes. 14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. 31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.
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Die Predigt
Echte Hirten und schlechte Hirten

Gar kein leichtes Amt, das Gott da dem Propheten Hesekiel zugedacht hatte: "Du Menschenkind, predige gegen die Hirten Israels, predige und sprich zu ihnen: So spricht der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?"
Eine gefährliche Sache, sich hinzustellen und den Mächtigen seiner Zeit so unverblümt einen Spiegel vorzuhalten. Ein Prophet damals zur Zeit des Alten Testaments war nicht, was das Wort heute meistens meint, einer der die Zukunft vorhergesagt hat. Propheten waren Kritiker im Auftrag Gottes. Sie machten öffentlich, was sich niemand anzusprechen traute. Es gab ja damals keine Demokratie, keine freie Presse. Man vermutet, dass mancher von ihnen heimlich und schnell von der Bildfläche verschwunden ist, so
dass von ihnen gar keine Worte in der Bibel überliefert sind.
Von Hirten ist hier die Rede, von Hirten, die versagt haben. Hirten, damit waren damals in Israel die politischen und die geistlichen Führer gemeint; Menschen, auf die sich das Volk nach dem Willen Gottes hätte verlassen sollen. Sie sollten nicht eigenmächtig handeln. Gott hatte ihnen sein Volk anvertraut, so wie die Bauern eines ganzen Dorfes damals ihre Tiere
einem Hirten anvertrauten. Wir haben es im Evangelium gehört: Da gab es
Hirten, für die war ihr Beruf eine Berufung. Und es gab „Mietlinge“, wie Luther übersetzt, gemietete, angestellte Hirten, denen es v.a. um den Verdienst ging. Demokratie war vor zweieinhalb tausend Jahren ein Fremdwort. Aber von den Königen als Hirten erwartete man Sorge für Gerechtigkeit, Sorge für die Benachteiligten und die am Rand Stehenden. Wie ein guter Hirte sollten sie sich vor allem um die kümmern, die in der großen Gemeinschaft verlorenzugehen drohten.

Politiker, die in die eigene Tasche wirtschaften

Und nun soll Hesekiel diesen Führern des Volkes sagen: Ihr habt euer Hirtenamt missbraucht, habt in die eigene Tasche gewirtschaftet, habt nur für euren Vorteil gesorgt: "Ihr esst das Fett und kleidet euch mit Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden."
Ohne dass ich die Politikverdrossenheit noch verstärken will: Es drängt sich einem wahrscheinlich in jeder Generation neu auf, diese alten Worte auch auf die eigene Zeit zu übertragen. Wird nicht über dem Sparen, das wir heute alle wohl oder übel lernen müssen, immer wieder bemängelt, dass die Politiker und auch die Wirtschaftsbosse eher mit schlechtem Beispiel vorangehen? Hat man nicht öfter so ein unbestimmtes Gefühl, dass manche Politiker es
sehr gut verstehen, für sich selbst zu sorgen? Dass sie Wasser predigen und Wein trinken. Dass auf einmal große Einigkeit da ist, wenn es um die Erhöhung der Diäten geht. Und dann noch solche Nachrichten, dass sogar der Präsident des Steuerzahlerbundes drei Gehälter einsteckt.

Vorsicht vor Stammtischparolen!

Genug davon! Die Stammtischreden über andere sind zwar sehr reizvoll, und man bekommt auch schnell Beifall, aber sie sind doch sehr gefährlich. Zum einen sind sie gefährlich, weil wir beim Reden über die Politiker meist sehr
pauschal urteilen. Es gibt, Gott sei Dank, viele, die mit der Last ihres Amtes
verantwortungsvoll umgehen. Es gibt welche, für die ihr Beruf Berufung ist.
Und zum anderen sind Stammtischreden gefährlich, weil man im Blick auf andere leicht sich selbst vergisst. Und das ist, geistlich gesehen, die noch größere Gefahr: Wir alle, fast ohne Ausnahme, haben in unserem Alltag auch irgendwelche Hirtenaufgaben im weitesten Sinn, Aufgaben, wo wir für andere
verantwortlich sind: Menschen sind uns anvertraut. Menschen verlassen sich auf uns: Eltern tragen Verantwortung für Ihre Kinder, Großeltern für die Enkel; oder auch andersheum die mittlere Generation für die pflegebedürftige
ältere Generation. Erwachsene sind, ob Sie es wollen oder nicht, Vorbilder für die Jugendlichen. Vorgesetzte im Betrieb oder im Büro haben mehr Macht über Menschen und Karrieren, als man es sich manchmal eingesteht. Lehrherren und Ausbilder prägen junge Menschen. Als Silberne Konfirmanden, die vom Alter her mitten im Leben stehen, kennen Sie das
vermutlich auch.

Von der Versuchung der Macht

Auch wenn wir also keine Politiker sind, auch wenn nur wenig Macht und nur wenig Geld durch unsere Hände gehen, dürfen wir die Worte des Hesekiel nicht von uns wegschieben und nur auf die sog. anderen beziehen:
"Wehe den Hirten, die sich selbst weiden! Ich will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden."
Keiner von uns ist vor der Versuchung der Macht gefeit, und sei es nur die Macht über ein Kind, einen Schüler, einen Lehrling oder einen alten oder pflegebedürftigen Menschen, der auf einen angewiesen ist.

Gott ist ein Gott der Enttäuschten

Gott ist ein Gott der Vernachlässigten, ein Gott derer, um die sich niemand kümmert. Er spricht hier in der Botschaft des Hesekiel sein Machtwort gegen alle Ungerechtigkeit. Und mag es in der Welt auch oft genug nicht so aussehen, er wird sich durchsetzen und den Benachteiligten Gerechtigkeit schaffen. Das ist das eigentliche Zentrum dieses Textes, das Evangelium, die gute Botschaft: Es geht weniger um die Kritik an falschen Hirten, sondern das Wort des Hesekiel will eine Ermutigung sein für alle, die von anderen
Menschen enttäuscht sind; für alle, die nicht mehr an die Gerechtigkeit dieser Welt und der Menschen glauben können, weil sie von Poltikern
und Führern zu oft enttäuscht wurden. All denen sagt Hesekiel: Egal, was ihr mit Menschen erlebt, Gott ist einer, auf den man sich voll und ganz verlassen kann: Er ist so, wie Hirten eigentlich sein sollten. "Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von der Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen. Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet."

Vorbilder gesucht!

Was hier von Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit gesagt wird, scheint mir
ebenfalls sehr modern. Genügend gibt es, die in der Vielfalt der Meinungen, der Medien, der Programme und Heilsangebote wie Verirrte umherlaufen. Suchende stolpern v.a. in den Großstädten von einer Sekte zur anderen.
"Und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet", sagt Hesekiel.
Dass so viele fragende Menschen heute ohne Antwort bleiben, ist auf jeden Fall auch eine Anfrage an die Kirche, an ihre Pfarrer und Gemeindeglieder. Ganz offenbar kommen wir unserer gemeinsamen christlichen Hirtenaufgabe
nicht richtig nach, anderen den Weg zu weisen, und anderen Vorbild zu sein. Christlicher Glaube ist ja nicht dazu da, jemanden zu gängeln oder zu entmündigen, sondern Sinn anzubieten. Und Gott will nicht, dass jemand unter uns ohne Sinn und ohne Vertrauen durch sein Leben gehen muss: "Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken."
Man kann zum verstorbenen Papst und zur Berichterstattung der letzten Tage verschiedener Meinung sein. Aber eines ist doch ganz deutlich geworden: Mehr Menschen als man denkt, und v.a. junge, suchen Hirten im guten Sinn, suchen Leitfiguren, echte und glaubwürdige Vorbilder, die einen Weg nicht nur zeigen, sondern auch selber gehen.

Sich führen lassen!?

Das ist die andere Seite der Worte des Ezechiel. Im Bild: Wir sind nicht nur Hirten, wir sind auch immer wieder selber die Schafe. Auf deutsch: Wir haben es auch selber nötig, dass Gott uns immer wieder nachgeht, uns sucht und findet. Es gibt Zeiten, da sind wir, wie es hier heißt, verirrt, verwundet oder schwach. Wir haben Stärkung nötig. Es sind Wunden oder
Verletzungen da, die verbunden werden müssen. Da tut es gut, diese Verse auch ganz bewusst als persönliche Botschaft zu hören: "Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr." Jeder Gottesdienst, jedes Abendmahl wie heute ist sozusagen eine geduldig ausgestreckte Hand Gottes.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de