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Die Predigt vom 19. November 2006 (Vorl. Sonntag des Kirchenjahres):
»Trösten - wie geht das?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres. Sein Thema ist die Verantwortung des Menschen vor Gott. Evangelium (1. Lesung) war das Gleichnis vom jüngsten Gericht und Epistel (2. Lesung) das Seufzen der leidenden Schöpfung. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) kam aus der Offenbarung des Johannes Kapitel 2:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
8 Dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: 9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans. 10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. 11 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.
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Die Predigt
Heldentod?

„Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ So stand auf der Gefallenen-Gedenktafel in der Kirche des Ortes, in dem ich aufgewachsen bin.
Die dieses Wort damals ausgesucht haben, wollten wohl sagen: Wer im Krieg sein Leben gelassen hat, dem wird von Gott unmittelbar das ewige Leben geschenkt. Ein Trost in trostloser Zeit. Ein Trost für die Mütter, die oft gleich mehrere Söhne blutjung verloren haben. Ein Trost für die jungen Frauen, deren Männer nicht wieder kamen, und deren Kinder oft ihren Vater nie gesehen haben.
Aber ein Trost, der auch Fragen aufwirft: Ist damit der Tod im Krieg ein besserer Tod? Kommt man dann, als Entschädigung sozusagen, unmittelbar zu Gott? Wird einem die Verantwortung, die wir alle vor Gott abzulegen haben, erspart?

Märtyrertod?

Als ich dann zu studieren begonnen habe und erfahren habe, woher dieses Wort kommt, habe ich mich maßlos aufgeregt: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Das wird im Buch der Offenbarung zu Christen gesagt, die um ihres Glaubens willen als Märtyrer sterben. Wie kann man, so habe ich mich damals als junger Student gefragt, den Tod in einem sinnlosen Krieg so verherrlichen und mit dem Martyrium in der Christenverfolgung vergleichen? Wenn wir uns als Christen zu Recht aufregen über die islamische Vorstellung des Heiligen Krieges: dass wer im Kampf gegen die Ungläubigen stirbt, gleich zu Allah kommt. ... Wenn wir uns darüber aufregen, wie können wir dann auf christlicher Seite solche Gedanken nachsprechen? Nach dem Neuen Testament unserer Bibel und – so sagen es die gemäßigten Muslim, auch nach dem Koran – soll Krieg nach Gottes Willen nicht sein. Er ist Menschenwerk, und niemand kann sich damit auf Gott berufen.
So kämpferisch und aufgeregt wie damals bin ich heute nicht mehr. Ich versuche zu verstehen. Man wollte mit einem solchen Bibelwort trösten. Man wollte versuchen, einem sinnlosen Tod einen Sinn zu verleihen.

Tod in der Christenverfolgung

Beides ist mir also durch den Kopf gegangen beim Lesen der Bibelworte für heute: Die Botschaft des Volkstrauertages „Nie wieder Krieg!“ und „Verherrlicht das Sterben im Krieg nicht!“ und der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres, der uns daran erinnert, dass wir alle einmal vor Gott treten müssen. Aus dem Buch der Offenbarung im 2. Kapitel:
8 Dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: 9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans. 10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. 11 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.

Der Schreiber der Offenbarung, der Seher Johannes, richtet im Auftrag und im Namen Christi sogenannte Sendschreiben an verschiedene christliche Gemeinden in Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei. Sie stehen am Ende des 1. Jhd. n.Chr. mitten in der großen Christenverfolgung durch den römischen Kaiser Domitian. Er will als Gott verehrt werden, um durch dieses gemeinsame Bekenntnis sein Riesenreich zusammen zu halten. Als Ausbund des Teufels wird er in der Offenbarung beschrieben. Viele Christen, die nicht bereit sind, ihm zu huldigen und damit ihrem Gott abzusagen, wandern ins Gefängnis. Sie will Johannes ermutigen und trösten:
10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.

Juden und Christen

Und was es den Christen dort in der Gemeinde in Smyrna offenbar noch schwerer macht, ist, dass sich offenbar die jüdische Gemeinde am Ort auch auf die Seite der Römer stellte. Die Juden genossen im Römischen Reich Religionsfreiheit und waren vom Kaiserkult befreit. Ursprünglich hatte man deswegen die Christen als eine Art jüdischer Sekte auch in Frieden gelassen. Offenbar wollten sich die Juden in Smyrna ganz bewusst von den Christen absetzen, um nicht mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden und dann selber in den Strudel der Verfolgungen zu geraten. Vielleicht haben einige aber auch die staatliche Christenverfolgung als Gelegenheit genutzt und Christen denunziert, um unliebsame Konkurrenz loszuwerden.
9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans.
So war es offensichtlich damals. Es braucht nicht verschwiegen werden. Doch darüber urteilen können und dürfen wir nicht, geschweige denn, solche Worte über „die Juden“ heute wiederholen. Was ist genau andersherum im christlichen Namen jüdischen Mitbürgern angetan worden!

Trost in trostloser Zeit

Trösten und ermutigen will Johannes die verfolgten Christen dort in der Stadt Smyrna. Sie sollen durchhalten. Die Zeit ihrer Bedrängnis ist nur kurz. Und wenn jemand sein Leben lassen muss, dann bekommt er ganz gewiss von Gott das ewige geschenkt:
Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.
Zwei Tode unterscheidet Johannes in seinem Versuch, Trost und Kraft zu geben in dem unsagbaren Leid: Der Tod kann einem nur das irdische Leben nehmen. Das blüht einem jeden. Aber hütet Euch vor dem zweiten Tod, dem endgültigen Tod, also der Gottverlassenheit, der Trennung von Gott. Wer Gott treu bleibt, dem kann dieser zweite Tod nichts anhaben. Der kann durch den ersten, den leiblichen Tod nicht aus Gottes Hand fallen.

Die Worte sind nicht zu uns gesagt

Warum erzähle ich so ausführlich von damals? Ich tue es, weil man diese Wort nur vor dem Hintergrund der damaligen Zeit verstehen kann. Man kann sie nicht aus ihrem Zusammenhang reißen und gedankenlos auf heute übertragen. Mit den Christen damals, die unter Domitian für ihre Überzeugung gestorben sind, und mit anderen, die das auch heute noch in manchen islamischen oder sozialistischen Ländern erleben, können wir uns nicht vergleichen. Wir leiden als Christen keine Verfolgung. Und auch auf der weltlichen Seite: Wir haben in Deutschland noch nie eine so lange Friedenszeit erlebt wie diese vergangenen sechzig Jahre.
Wie können also diese Worte aus einer ganz anderen Zeit zu uns heute sprechen? Zwei Dinge sind mir durch den Kopf gegangen:

Trösten - wie geht das?

Das ist zuerst die Frage: Wie kann man die rechten Worte finden in Situationen, wo einem die Worte fehlen? Wie kann man trösten in trostloser Zeit? So wie damals Johannes die verfolgten Christen trösten und ermutigen wollte. Und so wie man in der Nachkriegszeit die Hinterbliebenen der Gefallenen und Vermissten trösten wollte. Trösten – wie geht das?
Dabei denke ich an Gemeindeglieder, die im Laufe des Jahres einen lieben Menschen hergeben mussten und am kommenden Sonntag den Namen noch einmal hören werden. Ich denke an Menschen mit einer schweren Diagnose, die dem Tod ins Auge sehen müssen. Ich denke an Kolleginnen und Kollegen von mir, die Worte finden müssen, wenn ein Angehöriger der deutschen Friedenstruppen, z.B. aus Afghanistan, tot in die Heimat zurückkommt.

Vor allem eine Trostbotschaft, die unabhängig von der historischen Situation dieser Wort gilt, habe ich herausgehört:
Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: 9 Ich kenne deine Bedrängnis.
Christus, der selber das Leid bis in seiner tiefsten Tiefen hinein erlebt hat, dem die Frage nicht erspart geblieben ist: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“... Christus selbst sagt: Ich kenne deine Bedrängnis. Ich kenne dein Leiden. Ich weiß, wie dir zumute ist. Die Tiefen, die du erlebst, durch die bin ich schon hindurch gegangen. Du bist in deinen Tiefen nicht allein.
Gott lässt uns in unseren Tiefen nicht allein. Und wenn wir fragen, wie wir am besten trösten können, dann vermutlich ganz genauso: Weniger mit klugen und frommen Worten, sondern indem wir Menschen in ihren Tiefen nicht alleine lassen. Da sein, zuhören, aushalten, umarmen, mit weinen und mit schweigen.

... dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin

Und das zweite, was mir von diesen Worten her auch für heute bleibt: Es hat mit dem Sonntag vom jüngsten Gericht zu tun, mit der Verantwortung für unser Leben, die uns niemand abnehmen kann.
9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich.
So sagt Johannes der christlichen Gemeinde in Smyrna weiter. Also: Äußerlich gesehen ist sie bedrängt und arm. Aber in Wirklichkeit ist sie reich. Was äußerlich zählen mag, hat sie nicht vorzuweisen. Was vor Gott im Angesicht des Todes zählt, das hat sie. Und das ist entscheidend.
Ohne diese innere Unruhe entlässt uns der heutige vorletzte Sonntag des Kirchenjahres nicht: Habe ich, was habe ich, was vor Gott und vor Menschen zählt, wenn ich einmal abtreten muss? Weiß ich, worauf, auf wen ich mich dann verlassen kann?
Und deswegen möchte ich mit Ihnen singen: "Hilf, Herr meines Lebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de