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Die Predigt |
Heldentod?
„Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens
geben.“ So stand auf der Gefallenen-Gedenktafel in der Kirche
des Ortes, in dem ich aufgewachsen bin.
Die dieses Wort damals ausgesucht haben, wollten wohl sagen: Wer im
Krieg sein Leben gelassen hat, dem wird von Gott unmittelbar das ewige
Leben geschenkt. Ein Trost in trostloser Zeit. Ein Trost für
die Mütter, die oft gleich mehrere Söhne blutjung verloren
haben. Ein Trost für die jungen Frauen, deren Männer nicht
wieder kamen, und deren Kinder oft ihren Vater nie gesehen haben.
Aber ein Trost, der auch Fragen aufwirft: Ist damit der Tod im Krieg
ein besserer Tod? Kommt man dann, als Entschädigung sozusagen,
unmittelbar zu Gott? Wird einem die Verantwortung, die wir alle vor
Gott abzulegen haben, erspart?
Märtyrertod?
Als ich dann zu studieren begonnen habe und erfahren habe, woher dieses
Wort kommt, habe ich mich maßlos aufgeregt: „Sei getreu
bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“
Das wird im Buch der Offenbarung zu Christen gesagt, die um ihres
Glaubens willen als Märtyrer sterben. Wie kann man, so habe ich
mich damals als junger Student gefragt, den Tod in einem sinnlosen
Krieg so verherrlichen und mit dem Martyrium in der Christenverfolgung
vergleichen? Wenn wir uns als Christen zu Recht aufregen über
die islamische Vorstellung des Heiligen Krieges: dass wer im Kampf
gegen die Ungläubigen stirbt, gleich zu Allah kommt. ... Wenn
wir uns darüber aufregen, wie können wir dann auf christlicher
Seite solche Gedanken nachsprechen? Nach dem Neuen Testament unserer
Bibel und – so sagen es die gemäßigten Muslim, auch
nach dem Koran – soll Krieg nach Gottes Willen nicht sein. Er
ist Menschenwerk, und niemand kann sich damit auf Gott berufen.
So kämpferisch und aufgeregt wie damals bin ich heute nicht mehr.
Ich versuche zu verstehen. Man wollte mit einem solchen Bibelwort
trösten. Man wollte versuchen, einem sinnlosen Tod einen Sinn
zu verleihen.
Tod in der Christenverfolgung
Beides ist mir also durch den Kopf gegangen beim Lesen der Bibelworte
für heute: Die Botschaft des Volkstrauertages „Nie wieder
Krieg!“ und „Verherrlicht das Sterben im Krieg nicht!“
und der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres, der uns daran erinnert,
dass wir alle einmal vor Gott treten müssen. Aus dem Buch der
Offenbarung im 2. Kapitel:
8 Dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste
und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: 9 Ich kenne
deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die
Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht,
sondern sind die Synagoge des Satans. 10 Fürchte dich nicht vor
dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins
Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in
Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will
ich dir die Krone des Lebens geben. 11 Wer Ohren hat, der höre,
was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein
Leid geschehen von dem zweiten Tode.
Der Schreiber der Offenbarung, der Seher Johannes, richtet im Auftrag
und im Namen Christi sogenannte Sendschreiben an verschiedene christliche
Gemeinden in Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei. Sie
stehen am Ende des 1. Jhd. n.Chr. mitten in der großen Christenverfolgung
durch den römischen Kaiser Domitian. Er will als Gott verehrt
werden, um durch dieses gemeinsame Bekenntnis sein Riesenreich zusammen
zu halten. Als Ausbund des Teufels wird er in der Offenbarung beschrieben.
Viele Christen, die nicht bereit sind, ihm zu huldigen und damit ihrem
Gott abzusagen, wandern ins Gefängnis. Sie will Johannes ermutigen
und trösten:
10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe,
der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr
versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage.
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.
Juden und Christen
Und was es den Christen dort in der Gemeinde in Smyrna offenbar noch
schwerer macht, ist, dass sich offenbar die jüdische Gemeinde
am Ort auch auf die Seite der Römer stellte. Die Juden genossen
im Römischen Reich Religionsfreiheit und waren vom Kaiserkult
befreit. Ursprünglich hatte man deswegen die Christen als eine
Art jüdischer Sekte auch in Frieden gelassen. Offenbar wollten
sich die Juden in Smyrna ganz bewusst von den Christen absetzen, um
nicht mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden und dann selber in
den Strudel der Verfolgungen zu geraten. Vielleicht haben einige aber
auch die staatliche Christenverfolgung als Gelegenheit genutzt und
Christen denunziert, um unliebsame Konkurrenz loszuwerden.
9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber
reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden,
und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans.
So war es offensichtlich damals. Es braucht nicht verschwiegen werden.
Doch darüber urteilen können und dürfen wir nicht,
geschweige denn, solche Worte über „die Juden“ heute
wiederholen. Was ist genau andersherum im christlichen Namen jüdischen
Mitbürgern angetan worden!
Trost in trostloser Zeit
Trösten und ermutigen will Johannes die verfolgten Christen dort
in der Stadt Smyrna. Sie sollen durchhalten. Die Zeit ihrer Bedrängnis
ist nur kurz. Und wenn jemand sein Leben lassen muss, dann bekommt
er ganz gewiss von Gott das ewige geschenkt:
Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten
Tode.
Zwei Tode unterscheidet Johannes in seinem Versuch, Trost und Kraft
zu geben in dem unsagbaren Leid: Der Tod kann einem nur das irdische
Leben nehmen. Das blüht einem jeden. Aber hütet Euch vor
dem zweiten Tod, dem endgültigen Tod, also der Gottverlassenheit,
der Trennung von Gott. Wer Gott treu bleibt, dem kann dieser zweite
Tod nichts anhaben. Der kann durch den ersten, den leiblichen Tod
nicht aus Gottes Hand fallen.
Die Worte sind nicht zu uns gesagt
Warum erzähle ich so ausführlich von damals? Ich tue es,
weil man diese Wort nur vor dem Hintergrund der damaligen Zeit verstehen
kann. Man kann sie nicht aus ihrem Zusammenhang reißen und gedankenlos
auf heute übertragen. Mit den Christen damals, die unter Domitian
für ihre Überzeugung gestorben sind, und mit anderen, die
das auch heute noch in manchen islamischen oder sozialistischen Ländern
erleben, können wir uns nicht vergleichen. Wir leiden als Christen
keine Verfolgung. Und auch auf der weltlichen Seite: Wir haben in
Deutschland noch nie eine so lange Friedenszeit erlebt wie diese vergangenen
sechzig Jahre.
Wie können also diese Worte aus einer ganz anderen Zeit zu uns
heute sprechen? Zwei Dinge sind mir durch den Kopf gegangen:
Trösten - wie geht das?
Das ist zuerst die Frage: Wie kann man die rechten Worte finden in
Situationen, wo einem die Worte fehlen? Wie kann man trösten
in trostloser Zeit? So wie damals Johannes die verfolgten Christen
trösten und ermutigen wollte. Und so wie man in der Nachkriegszeit
die Hinterbliebenen der Gefallenen und Vermissten trösten wollte.
Trösten – wie geht das?
Dabei denke ich an Gemeindeglieder, die im Laufe des Jahres einen
lieben Menschen hergeben mussten und am kommenden Sonntag den Namen
noch einmal hören werden. Ich denke an Menschen mit einer schweren
Diagnose, die dem Tod ins Auge sehen müssen. Ich denke an Kolleginnen
und Kollegen von mir, die Worte finden müssen, wenn ein Angehöriger
der deutschen Friedenstruppen, z.B. aus Afghanistan, tot in die Heimat
zurückkommt.
Vor allem eine Trostbotschaft, die unabhängig von der historischen
Situation dieser Wort gilt, habe ich herausgehört:
Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig
geworden: 9 Ich kenne deine Bedrängnis.
Christus, der selber das Leid bis in seiner tiefsten Tiefen hinein
erlebt hat, dem die Frage nicht erspart geblieben ist: „Mein
Gott, warum hast du mich verlassen?“... Christus selbst sagt:
Ich kenne deine Bedrängnis. Ich kenne dein Leiden. Ich weiß,
wie dir zumute ist. Die Tiefen, die du erlebst, durch die bin ich
schon hindurch gegangen. Du bist in deinen Tiefen nicht allein.
Gott lässt uns in unseren Tiefen nicht allein. Und wenn wir fragen,
wie wir am besten trösten können, dann vermutlich ganz genauso:
Weniger mit klugen und frommen Worten, sondern indem wir Menschen
in ihren Tiefen nicht alleine lassen. Da sein, zuhören, aushalten,
umarmen, mit weinen und mit schweigen.
... dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin
Und das zweite, was mir von diesen Worten her auch für heute
bleibt: Es hat mit dem Sonntag vom jüngsten Gericht zu tun, mit
der Verantwortung für unser Leben, die uns niemand abnehmen kann.
9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist
aber reich.
So sagt Johannes der christlichen Gemeinde in Smyrna weiter. Also:
Äußerlich gesehen ist sie bedrängt und arm. Aber in
Wirklichkeit ist sie reich. Was äußerlich zählen mag,
hat sie nicht vorzuweisen. Was vor Gott im Angesicht des Todes zählt,
das hat sie. Und das ist entscheidend.
Ohne diese innere Unruhe entlässt uns der heutige vorletzte Sonntag
des Kirchenjahres nicht: Habe ich, was habe ich, was vor Gott und
vor Menschen zählt, wenn ich einmal abtreten muss? Weiß
ich, worauf, auf wen ich mich dann verlassen kann?
Und deswegen möchte ich mit Ihnen singen: "Hilf, Herr meines
Lebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin." Amen |
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