Die
Kirche als Ruine?
Ich lade Sie ein, ein Bild aus unserem Gesangbuch mit mir anzuschauen.
Sie finden es neben der Nr. 241, der nächsten Nummer auf der
Liedtafel. ...
Aus Urheberrechtsgründen habe ich das Bild hier
nicht abgedruckt. Es lohnt sich, das Evangelische Gesangbuch (Ausgabe
Bayern und Thüringen) anzuschaffen.
Eine Kirchenruine. Ohne Dach ist sie schutzlos der Witterung ausgesetzt.
Hoch auf ihren Mauerstümpfen wachsen Gras und kleine Büsche.
Auch aus dem Kirchenboden sprießt es schon.
Die Säulen werden notdürftig zusammengehalten. Ihre Kapitelle
sind herunter gefallen.
Zwei Menschen besuchen die Kirche, so wie man sich als Tourist,
nicht als Gottesdienstbesucher eine Ruine anschaut.
Wer neugierig im Register am Ende des Gesangbuches nachschaut, findet
dort: „Die Jacobikirche in Greifswald als Ruine", eine
Bleistiftzeichnung von Caspar David Friedrich um 1815.
Da blickt jemand tiefer
Was mögen sich die Menschen damals gedacht haben, als Caspar
David Friedrich ihnen dieses Bild der Kirche seiner Heimatstadt
gezeichnet hat? Man muss wissen: Die Jakobikirche in Greifswald,
der alten Hansestadt an der vorpommerschen Ostsee, war nie eine
Ruine. Die gotische Backsteinkirche aus dem 13. Jhd. stand zu Caspar
David Friedrichs Zeit unversehrt und blieb es auch in der Geschichte.
Was treibt einen Künstler zu einer solchen Darstellung? Mit
prophetischen Augen sieht er tiefer und genauer hin als seine Zeitgenossen.
Er sieht hinter dem Kirchengebäude die Kirche überhaupt:
Ist die Kirche im Innern schon tot? Wollen die Menschen noch etwas
von ihr? Wird sie noch gebraucht? Oder ist sie wie ein Relikt aus
vergangenen alten Zeiten, das man wie ein Museum besucht?
Doch da ist auch Ermutigung in diesem Bild: Überraschend unversehrt
sind in der Kirchenruine die Kanzel mit dem Kanzeldeckel und der
Chorraum mit Altar und Kruzifix.
Sie werden in den Augen des Künstlers bleiben, auch wenn die
äußere Gestalt der Kirche verfallen sollte. Auf sie kommt
es an. Das Äußere ist nicht so wichtig, wenn nur Wort
und Sakrament, wenn nur Predigt und Abendmahl bleiben.
Wenn nur Christus im Mittelpunkt bleibt. Wenn nur das Wort Gottes
bleibt. Aus diesen Wurzeln heraus ist immer neu Wiederbesinnung,
Wiederbelebung und Reformation möglich.
Jerusalem in Trümmern
Neben dem Bild finden Sie das Lied „Wach auf, du Geist der
ersten Zeugen, die auf der Mau'r als treue Wächter stehn".
Dieses Lied von den Wächtern auf der Mauer, die sich mit der
Kirche, wie sie ist, nicht zufrieden geben, die Gott und den Menschen
keine Ruhe lassen, ist gedichtet nach dem Abschnitt aus dem Buch
Jesaja, der für heute zum Nachdenken aufgegeben ist:
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern
bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen
sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen,
7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es
setze zum Lobpreis auf Erden! 10 Gehet ein, gehet ein durch die
Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt
die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
11 Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der
Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was
er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her!
12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste
des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte«
und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
Die Kirche in Greifswald stand noch unversehrt, als sich Caspar
David Friedrich seine Gedanken um den Zustand von Kirche und Gemeinde
gemacht hat.
Jerusalem, die Hauptstadt Israels, die „Tochter Zion“,
wie sie bildlich genannt wird, lag damals wirklich zerstört
und in Ruinen: 600 Jahre vor Christus hatte die damalige Weltmacht
Babylon Stadt und Tempel dem Erdboden gleich gemacht und die Oberschicht,
die Handwerker und die Beamten in die Gefangenschaft nach Babylonien
geführt. 800 km weit weg von der Heimat war ihre einzige Sehnsucht
die Rückkehr nach Jerusalem, der Wiederaufbau der Stadt und
des Tempels.
Als sich die politischen Verhältnisse wieder wandelten, durften
die Israeliten dann auch unter der neuen Weltmacht, den Persern,
in kleinen Gruppen wieder zurückkehren. Sie fingen an, aus
dem Nichts heraus Jerusalem und den Tempel wieder aufzubauen. Alles
sollte in ihrer Vorstellung wieder so herrlich werden wie früher.
Aber die großartigen Erfolge blieben aus. Jerusalem blieb
klein und armselig, bedrängt von den Feinden der Umgebung.
Die Heimkehr der letzten aus Babylonien verzögerte sich immer
mehr.
Gott hat seine Stadt nicht vergessen
In diese Resignation hinein richtet der Prophet seine Worte. Er
resigniert nicht angesichts der ärmlichen Lage der Gemeinde
und der Stadt. Er verweist auf die immer noch gültigen Verheißungen
Gottes. Gott hat seine Gemeinde nicht vergessen. Er lädt ein,
Gott in den Ohren zu liegen, dass er doch endlich das versprochene
Heil kommen lässt. Dann würde die Stadt ihre alte Bedeutung
wieder gewinnen. Und die Nachbarn würden wieder mit Hochachtung
von ihr reden:
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern
bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen
sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen,
7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es
setze zum Lobpreis auf Erden!
Aus der Geschichte lernen?
Der Blick zurück in die Geschichte ist wichtig. Aus der Geschichte
kann man für die Gegenwart lernen. Aber Predigt soll ja nicht
nur Geschichtsstunde sein. Welche der beiden Situationen trifft
wohl eher unsere Zeit: Das in sichtbaren Trümmern liegende
Jerusalem oder die eigentlich intakte Kirche in Greifswald, die
durch den Röntgenblick des Künstlers zur Ruine wird? ...
Setzen wir doch, um uns von den alten Prophetenworten anreden zu
lassen, ganz einfach einmal statt „Jerusalem" unsere
Gemeinde heute ein. Und dann nehme ich noch statt der Übersetzung
Martin Luthers die modernere von Jörg Zink. Dann lauten diese
Worte:
„Ich habe Wächter aufgestellt, die den ganzen Tag
und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Ihr sollt Gott
erinnern und keine Ruhe lassen, bis er die Kirche aufrichtet, dass
die Menschen, die sie sehen, Gott darüber loben. Haltet euch
zur Gemeinde. Ebnet anderen den Weg. Räumt Hindernisse weg.
Verlasst euch darauf: Gott ist unterwegs zu euch.“
Vom Zustand der Kirche heute
Immer wieder neu muss Kirche aufgerichtet werden, ob nun aus sichtbaren
Ruinen heraus, oder auch in nach außen hin guten und gesicherten
Zeiten. Die Klagen aus der Zeit Caspar David Friedrichs sind 200
Jahre alt, sind und bleiben aber aktuell: Kirche ist nicht lebendig
genug. Sie zieht die Zeitgenossen, v.a. die Jugendlichen nicht an.
Viele empfinden sie wie ein Museum. Engagierter, freudiger und freundlicher
müsste es zugehen.
Aber die Worte des Propheten bleiben eben nicht bei der Klage stehen.
Er blickt nach vorn. Er zeigt einen Weg in die Zukunft. Weil Gott
mit seiner Kirche noch etwas vor hat, können Menschen das Menschenmögliche
tun. Und dann findet man ganz moderne und praktische Hinweise für
Reformation heute:
Sich nicht mit dem Gegebenen zufrieden geben
Von Wächtern ist zuallererst die Rede, von Menschen in der
Gemeinde, die Gott keine Ruhe lassen, die ihm in den Ohren liegen
mit ihrem Gebet, dass er doch seine Gemeinde auch heute und hier
bauen soll. Zum sog. „Wächtergebet“ finden sich
im Rahmen der Evangelischen Allianz regelmäßig auch in
Bayreuth Menschen zusammen. Geduldig und hartnäckig beten sie
still im Hintergrund für alle christlichen Gemeinden Bayreuths.
Wie will sich etwas verändern, wenn niemand mit der Möglichkeit
einer Veränderung rechnet? Wie will sich etwas verändern,
wenn jemand beim Klagen über die heutige Zeit stehen bleibt
und der alten nachtrauert?
Deswegen freue ich mich über alle, die sich jetzt die Jugendarbeit
in unserer Gemeinde zu Herzen genommen haben. Die sich mit ihrer
Zeit und Kraft für den wöchentlichen Jugendtreff einsetzen.
Die den Förderverein gegründet haben. Jesaja:
Ihr sollt Gott erinnern und keine Ruhe lassen, bis er die Kirche
aufrichtet, dass die Menschen, die sie sehen, Gott darüber
loben.
Wir wirkt die Gemeinde nach außen?
Gemeinde soll zu einer Gemeinde werden, die von denen, die noch
draußen stehen, anerkennend beobachtet wird. Wir, die wir
uns sichtbar zur Gemeinde halten, sind ein Aushängeschild Gottes.
Welches Bild geben wir ab? Wirken wir einladend? Lohnt es sich,
zu uns zu gehören? Jesaja:
„Geht ein durch die Tore. Haltet euch zur Gemeinde.“
Also: Vergeudet Eure Kraft nicht mit Jammern über die, die
kein Interesse haben. Verfallt nicht in Resignation über kleine
Zahlen. Sagt nicht wie die Pessimisten „Das Glas ist halb
leer.“ Sagt wie die Optimisten „Es ist halb voll.“
Ladet geduldig ein zu den Gottesdiensten und Veranstaltungen und
geht mit gutem Beispiel voran. Jesaja:
„Ebnet anderen den Weg. Räumt Hindernisse weg.“
Wo sind wir vielleicht selbst mit unserer Person Hindernis für
andere? Wo nähren wir selber das Bild, Kirche sei verstaubt
und altmodisch? Welche Hindernisse bauen wir auf: mit unserer Art,
Gottesdienst zu feiern, mit unserer Art zu reden, mit der Wahl der
Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Jesaja:
Verlasst euch darauf: Gott ist unterwegs zu euch.
Viel hängt an uns selbst, an unserem Verhalten und Auftreten,
an dem Bild, das wir als Kirche abgeben. Aber das Entscheidende
tut Gott. Und nur deswegen hat unser Tun und Reformieren einen Sinn.
Sonst würden wir uns umsonst abstrampeln.
Nur weil Gott wie im Bild von Caspar David Friedrich als der Gekreuzigte
inmitten seiner Gemeinde bleibt, nur weil er sich in Brot und Wein
immer neu schenkt, kann sich in unserem Leben und unserer Kirche
etwas verändern.
Und der dreieinige Gott segne diese unsere Gemeinde nach dem Reichtum
seiner Gnade. Amen
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