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predigt[e].de

Die Predigt vom 4. November 2007 (Reformationstag):
»Kirche: altmodisch und verstaubt?«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging von der Zählung her den 22. Sonntag nach Trinitatis. Am Sonntag nach dem 31. Oktober stand aber traditionell das Reformationsfest im Mittelpunkt. Evangelium (1. Lesung) waren die Seligpreisungen und Epistel (2. Lesung) die Erkenntnis des Paulus, dass Gerechtigkeit vor Gott Geschenk ist. Predigttext war ein Abschnitt aus dem Propheten Jesaja Kapitel 62:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! 10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11 Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
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Die Predigt

Die Kirche als Ruine?

Ich lade Sie ein, ein Bild aus unserem Gesangbuch mit mir anzuschauen. Sie finden es neben der Nr. 241, der nächsten Nummer auf der Liedtafel. ...

Aus Urheberrechtsgründen habe ich das Bild hier nicht abgedruckt. Es lohnt sich, das Evangelische Gesangbuch (Ausgabe Bayern und Thüringen) anzuschaffen.

Eine Kirchenruine. Ohne Dach ist sie schutzlos der Witterung ausgesetzt. Hoch auf ihren Mauerstümpfen wachsen Gras und kleine Büsche. Auch aus dem Kirchenboden sprießt es schon.
Die Säulen werden notdürftig zusammengehalten. Ihre Kapitelle sind herunter gefallen.
Zwei Menschen besuchen die Kirche, so wie man sich als Tourist, nicht als Gottesdienstbesucher eine Ruine anschaut.

Wer neugierig im Register am Ende des Gesangbuches nachschaut, findet dort: „Die Jacobikirche in Greifswald als Ruine", eine Bleistiftzeichnung von Caspar David Friedrich um 1815.

Da blickt jemand tiefer

Was mögen sich die Menschen damals gedacht haben, als Caspar David Friedrich ihnen dieses Bild der Kirche seiner Heimatstadt gezeichnet hat? Man muss wissen: Die Jakobikirche in Greifswald, der alten Hansestadt an der vorpommerschen Ostsee, war nie eine Ruine. Die gotische Backsteinkirche aus dem 13. Jhd. stand zu Caspar David Friedrichs Zeit unversehrt und blieb es auch in der Geschichte.

Was treibt einen Künstler zu einer solchen Darstellung? Mit prophetischen Augen sieht er tiefer und genauer hin als seine Zeitgenossen. Er sieht hinter dem Kirchengebäude die Kirche überhaupt: Ist die Kirche im Innern schon tot? Wollen die Menschen noch etwas von ihr? Wird sie noch gebraucht? Oder ist sie wie ein Relikt aus vergangenen alten Zeiten, das man wie ein Museum besucht?

Doch da ist auch Ermutigung in diesem Bild: Überraschend unversehrt sind in der Kirchenruine die Kanzel mit dem Kanzeldeckel und der Chorraum mit Altar und Kruzifix.
Sie werden in den Augen des Künstlers bleiben, auch wenn die äußere Gestalt der Kirche verfallen sollte. Auf sie kommt es an. Das Äußere ist nicht so wichtig, wenn nur Wort und Sakrament, wenn nur Predigt und Abendmahl bleiben.
Wenn nur Christus im Mittelpunkt bleibt. Wenn nur das Wort Gottes bleibt. Aus diesen Wurzeln heraus ist immer neu Wiederbesinnung, Wiederbelebung und Reformation möglich.

Jerusalem in Trümmern

Neben dem Bild finden Sie das Lied „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen, die auf der Mau'r als treue Wächter stehn".
Dieses Lied von den Wächtern auf der Mauer, die sich mit der Kirche, wie sie ist, nicht zufrieden geben, die Gott und den Menschen keine Ruhe lassen, ist gedichtet nach dem Abschnitt aus dem Buch Jesaja, der für heute zum Nachdenken aufgegeben ist:
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! 10 Gehet ein, gehet ein durch die Tore! Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker! 11 Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her! 12 Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.

Die Kirche in Greifswald stand noch unversehrt, als sich Caspar David Friedrich seine Gedanken um den Zustand von Kirche und Gemeinde gemacht hat.
Jerusalem, die Hauptstadt Israels, die „Tochter Zion“, wie sie bildlich genannt wird, lag damals wirklich zerstört und in Ruinen: 600 Jahre vor Christus hatte die damalige Weltmacht Babylon Stadt und Tempel dem Erdboden gleich gemacht und die Oberschicht, die Handwerker und die Beamten in die Gefangenschaft nach Babylonien geführt. 800 km weit weg von der Heimat war ihre einzige Sehnsucht die Rückkehr nach Jerusalem, der Wiederaufbau der Stadt und des Tempels.
Als sich die politischen Verhältnisse wieder wandelten, durften die Israeliten dann auch unter der neuen Weltmacht, den Persern, in kleinen Gruppen wieder zurückkehren. Sie fingen an, aus dem Nichts heraus Jerusalem und den Tempel wieder aufzubauen. Alles sollte in ihrer Vorstellung wieder so herrlich werden wie früher. Aber die großartigen Erfolge blieben aus. Jerusalem blieb klein und armselig, bedrängt von den Feinden der Umgebung. Die Heimkehr der letzten aus Babylonien verzögerte sich immer mehr.

Gott hat seine Stadt nicht vergessen

In diese Resignation hinein richtet der Prophet seine Worte. Er resigniert nicht angesichts der ärmlichen Lage der Gemeinde und der Stadt. Er verweist auf die immer noch gültigen Verheißungen Gottes. Gott hat seine Gemeinde nicht vergessen. Er lädt ein, Gott in den Ohren zu liegen, dass er doch endlich das versprochene Heil kommen lässt. Dann würde die Stadt ihre alte Bedeutung wieder gewinnen. Und die Nachbarn würden wieder mit Hochachtung von ihr reden:
6 O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, 7 lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!

Aus der Geschichte lernen?

Der Blick zurück in die Geschichte ist wichtig. Aus der Geschichte kann man für die Gegenwart lernen. Aber Predigt soll ja nicht nur Geschichtsstunde sein. Welche der beiden Situationen trifft wohl eher unsere Zeit: Das in sichtbaren Trümmern liegende Jerusalem oder die eigentlich intakte Kirche in Greifswald, die durch den Röntgenblick des Künstlers zur Ruine wird? ...

Setzen wir doch, um uns von den alten Prophetenworten anreden zu lassen, ganz einfach einmal statt „Jerusalem" unsere Gemeinde heute ein. Und dann nehme ich noch statt der Übersetzung Martin Luthers die modernere von Jörg Zink. Dann lauten diese Worte:
„Ich habe Wächter aufgestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Ihr sollt Gott erinnern und keine Ruhe lassen, bis er die Kirche aufrichtet, dass die Menschen, die sie sehen, Gott darüber loben. Haltet euch zur Gemeinde. Ebnet anderen den Weg. Räumt Hindernisse weg. Verlasst euch darauf: Gott ist unterwegs zu euch.“

Vom Zustand der Kirche heute

Immer wieder neu muss Kirche aufgerichtet werden, ob nun aus sichtbaren Ruinen heraus, oder auch in nach außen hin guten und gesicherten Zeiten. Die Klagen aus der Zeit Caspar David Friedrichs sind 200 Jahre alt, sind und bleiben aber aktuell: Kirche ist nicht lebendig genug. Sie zieht die Zeitgenossen, v.a. die Jugendlichen nicht an. Viele empfinden sie wie ein Museum. Engagierter, freudiger und freundlicher müsste es zugehen.
Aber die Worte des Propheten bleiben eben nicht bei der Klage stehen. Er blickt nach vorn. Er zeigt einen Weg in die Zukunft. Weil Gott mit seiner Kirche noch etwas vor hat, können Menschen das Menschenmögliche tun. Und dann findet man ganz moderne und praktische Hinweise für Reformation heute:

Sich nicht mit dem Gegebenen zufrieden geben

Von Wächtern ist zuallererst die Rede, von Menschen in der Gemeinde, die Gott keine Ruhe lassen, die ihm in den Ohren liegen mit ihrem Gebet, dass er doch seine Gemeinde auch heute und hier bauen soll. Zum sog. „Wächtergebet“ finden sich im Rahmen der Evangelischen Allianz regelmäßig auch in Bayreuth Menschen zusammen. Geduldig und hartnäckig beten sie still im Hintergrund für alle christlichen Gemeinden Bayreuths. Wie will sich etwas verändern, wenn niemand mit der Möglichkeit einer Veränderung rechnet? Wie will sich etwas verändern, wenn jemand beim Klagen über die heutige Zeit stehen bleibt und der alten nachtrauert?
Deswegen freue ich mich über alle, die sich jetzt die Jugendarbeit in unserer Gemeinde zu Herzen genommen haben. Die sich mit ihrer Zeit und Kraft für den wöchentlichen Jugendtreff einsetzen. Die den Förderverein gegründet haben. Jesaja:
Ihr sollt Gott erinnern und keine Ruhe lassen, bis er die Kirche aufrichtet, dass die Menschen, die sie sehen, Gott darüber loben.

Wir wirkt die Gemeinde nach außen?

Gemeinde soll zu einer Gemeinde werden, die von denen, die noch draußen stehen, anerkennend beobachtet wird. Wir, die wir uns sichtbar zur Gemeinde halten, sind ein Aushängeschild Gottes. Welches Bild geben wir ab? Wirken wir einladend? Lohnt es sich, zu uns zu gehören? Jesaja:

„Geht ein durch die Tore. Haltet euch zur Gemeinde.“
Also: Vergeudet Eure Kraft nicht mit Jammern über die, die kein Interesse haben. Verfallt nicht in Resignation über kleine Zahlen. Sagt nicht wie die Pessimisten „Das Glas ist halb leer.“ Sagt wie die Optimisten „Es ist halb voll.“ Ladet geduldig ein zu den Gottesdiensten und Veranstaltungen und geht mit gutem Beispiel voran. Jesaja:

„Ebnet anderen den Weg. Räumt Hindernisse weg.“
Wo sind wir vielleicht selbst mit unserer Person Hindernis für andere? Wo nähren wir selber das Bild, Kirche sei verstaubt und altmodisch? Welche Hindernisse bauen wir auf: mit unserer Art, Gottesdienst zu feiern, mit unserer Art zu reden, mit der Wahl der Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Jesaja:

Verlasst euch darauf: Gott ist unterwegs zu euch.
Viel hängt an uns selbst, an unserem Verhalten und Auftreten, an dem Bild, das wir als Kirche abgeben. Aber das Entscheidende tut Gott. Und nur deswegen hat unser Tun und Reformieren einen Sinn. Sonst würden wir uns umsonst abstrampeln.
Nur weil Gott wie im Bild von Caspar David Friedrich als der Gekreuzigte inmitten seiner Gemeinde bleibt, nur weil er sich in Brot und Wein immer neu schenkt, kann sich in unserem Leben und unserer Kirche etwas verändern.
Und der dreieinige Gott segne diese unsere Gemeinde nach dem Reichtum seiner Gnade. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de