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Die Predigt |
Der Morgenstern
Wer vor Sonnenaufgang nach Osten schaut, kann ihn sehen, den sog.
Morgenstern: Vor Sonnenaufgang steht der Planet Venus derzeit im Osten
am Morgenhimmel über dem Horizont. Die Venus ist die hellste
Himmelserscheinung neben Sonne und Mond. In anderen Jahreszeiten steht
sie als Abendstern am Firmament. Sie leuchtet schon, bevor die ersten
Sterne zu sehen sind. Oder sie dringt noch durch, wenn die Sterne
beim aufkommenden Sonnenlicht nicht mehr zu sehen sind.
Für die ersten Christen wurde dieser helle, alles überstrahlende
Morgenstern bald auch zu einem Bild für ihren Herrn Jesus Christus,
weil er mit den Augen des Glaubens gesehen auch alle anderen Erscheinungen
dieser Welt überstrahlte:
Der 6. Januar, der Tag der drei Weisen, die dem Stern folgten, wurde
zum Fest der Erscheinung des Herrn, auf griechisch Epiphanie. Epiphanias,
Erscheinungsfest - so wird der 6. Januar deswegen auch genannt, und
man zählt die Januarsonntage als Sonntage nach Epiphanias. (Wegen
des ungewöhnlich frühen Ostertermins folgt heuer jedoch
auf Epiphanias sofort der Letzte Sonntag nach Epiphanias.)
Jesus, das Licht
Viele Vergleiche und Bilder haben die Menschen damals dafür gefunden,
was Jesus für sie bedeutet: Jesus, der Weg; Jesus, der gute Hirte;
Jesus, der Bruder und Mensch wie wir; Jesus, die Türe zu Gott,
das Brot des Lebens ...
Doch ein Bild spricht viele Menschen ganz besonders unmittelbar und
intensiv an: Jesus, das Licht. Das geht bis hinein in unsere alten
Sprichwörter und Redensarten, wie z.B.: „Immer, wenn du
meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“
Jesus, das Licht. Das hat seinen Grund in dem Jesuswort: „Ich
bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht im Finstern
wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
Sehnsucht nach Licht
Warum spricht gerade dieses Bild vom Licht so an? Vielleicht deswegen,
weil sich in dieses Bild praktisch jeder Mensch, ob klein oder groß,
jung oder alt, hineinversetzen kann. Jeder hat Dunkelheit und Angst
schon am eigenen Leib erfahren: äußere Dunkelheit in der
dunklen Jahreszeit; oder auch innere, seelische Dunkelheit. In der
Trauer, im Gefühl von Versagen und Schuld, in der Einsamkeit
des Alters, in Ängsten, Phobien oder Depressionen, in durchwachten
Nächten von Krankheit und Schlaflosigkeit.
Da sehnen sich Menschen nach Licht, äußerlich und innerlich:
Ein kleines Licht schon, das Licht einer Kerze, kann auch ein großes
Dunkel hell machen und die Angst mindern oder wegnehmen. Eine Tür,
die einen Spalt breit offen bleibt, kann einem Kind die Angst vor
der Nacht nehmen. Wie gerne sitzen Menschen gedankenverloren und lange
vor einer Kerze. Licht strahlt Wärme aus. Wärme für
den Körper, aber auch Wärme für die Seele. Das erleben
wir in den stillen Stunden der Advents- und Weihnachtszeit, die ohne
Kerzen nicht vorstellbar wären. Wegen der Lichter in der Dunkelheit
gehen viele Menschen bewusst an Weihnachten in die späte Christmette.
Oder sie freuen sich auf die nächste Osternacht, wo das Licht
wieder den Sieg über die Dunkelheit davonträgt und damit
symbolisch das Leben über den Tod siegt.
Wir brauchen das Licht. Wir haben es nötig, dass uns immer wieder
ein Licht aufgeht: seelisch, dass die Hoffnung sich durchsetzt. Geistig,
dass wir Orientierung bekommen. Jesus ist das Licht auch für
meine und deine Dunkelheit. Das ist die Botschaft dieses letzten Sonntags
nach Epiphanias.
Ein Schlüsselerlebnis
Der Schreiber der vorhin gehörten Worte erinnert an ein solches
eindrückliches Lichterlebnis im Leben der Jünger Jesu. Er
erinnert an die Erzählung von der sog. „Verklärung“
Jesu, das Evangelium des heutigen Sonntags:
17 Denn Jesus empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch
eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies
ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. 18 Und diese Stimme
haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf
dem heiligen Berge.
„Verklärung“, diese Überschrift ist heute nicht
mehr auf Anhieb verständlich. Die moderne Bibelübersetzung,
die „Gute Nachricht“, schreibt stattdessen einen ganzen
Satz: „Die Jünger sehen Jesus in Herrlichkeit.“
Für drei ausgewählte Jünger ist damals ein Licht aufgegangen.
Für einen Moment blitzte für sie Jesu wirkliches, verborgenes
Wesen auf. Wie beim Blick durch das weihnachtliche Schlüsselloch
schauten sie für einen Moment in eine Welt, die menschlichen
Blicken normalerweise verschlossen ist. Die Verklärung war für
die Jünger ein Vorzeichen der ausstehenden, der noch kommenden
Herrlichkeit Jesu. Jetzt war bestätigt, was sie zuvor nur vermuteten
und spürten: In diesem Jesus ist Gott selber da. Ein „Schlüsselerlebnis“,
so würden wir mit heutigen Worten vielleicht sagen.
Selten werden Menschen solche tiefen Einblicke geschenkt. Aber doch
gibt es das auch heute noch. Situationen sozusagen, wo für einen
Moment Himmel und Erde sich berühren:
Menschen, die sich eingehend mit der Meditation beschäftigen,
die in Stille und Einsamkeit die Nähe Gottes suchen, können
es erleben.
Oder vielleicht auch in den sog. Nahtoderlebnissen, wo Verunglückte
oder Operierte zwar noch nicht tot, aber doch an der Grenze des Todes
waren und wieder zurückgeholt wurden. Auf ein helles Licht sind
sie zugegangen. Und wenn sie gläubige Menschen waren, haben sie
darin Jesus entdecken können. Viele davon sind anschließend
regelrecht böse gewesen, dass man sie nicht hat sterben lassen.
Zurück auf den Boden
Das gibt es. Aber es ist nicht alltäglich. Wir müssen wie
die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung damit leben,
dass die Herrlichkeit Gottes immer nur kurz aufblitzt. Man kann sie
nicht festhalten. Petrus darf auf dem Berg keine Hütten bauen.
Die drei Jünger müssen in dieser Erzählung wieder vom
Berg herunter. Sie müssen sich dem Elend der Welt stellen. Nach
dem Lichterlebnis folgt für sie sogleich die Ernüchterung,
indem sie am Fuß des Berges einem epileptischen Jungen begegnen,
ihm ohne Jesus nicht helfen können und damit sozusagen brutal
auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden.
Licht tanken
Ganz ähnlich müssen wir heute damit leben, dass wir im Gegensatz
zu den Jüngern Jesu damals Jesus, das Licht, nicht mehr greifbar
und sichtbar unter uns haben.
Jesus heute ist zu finden, so sagt es der Schreiber dieser Zeilen,
wenn wir das Wort der Bibel zu uns reden lassen:
19 Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut
daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an
einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe
in euren Herzen.
In der Begegnung mit dem Wort Gottes geschieht Begegnung mit dem lebendigen
Gott. Nicht bei jeder Lesung, nicht bei jedem Predigttext, nicht bei
jedem Losungswort, nicht in jeder Lebenslage. Aber doch immer und
immer wieder.
Das sind sozusagen die kleinen unscheinbaren Verklärungsgeschichten
unserer Zeit: Wenn einem ein Bibelvers oder ein Abschnitt auf einmal
zum Licht in der eigenen Dunkelheit wird. Wenn jemand aus einem Gottesdienst
geht und Hoffnung bekommen hat. Wenn jemand ein Lied gesungen hat
und getröstet worden ist. Wenn jemand in die Bibel oder sein
Losungsbuch geschaut hat, und ihm ein Licht aufgegangen ist. Wenn
jemand einem geistlichen Menschen begegnet ist, sich von ihm angehört
und verstanden fühlt und eine Wegweisung bekommt.
Licht tanken in der dunklen Jahreszeit. Licht tanken gegen die Winterdepression,
die manche befällt, das kann man durch Spaziergänge in der
frischen Luft.
Licht tanken und Licht erleben für die innere Dunkelheit. Auch
das kann man, wenn man sich dem Licht des Evangeliums aussetzt: Im
Gottesdienst z.B. und auch zu Hause, indem man regelmäßig
seine Bibel oder sein Losungsbuch zur Hand nimmt und still wird.
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht.
Es hat Hoffnung und Zukunft gebracht.
Es gibt Trost, es gibt Halt
in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit. |
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