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Die Predigt |
Letzte Worte
Die letzten Worte sind oft die wichtigsten. Da denke ich jetzt nicht
so sehr an die letzten Worte eines Menschen vor seinem Tod, die letzten
Worte vor dem endgültigen Abschied. Ich denke an die letzten
Worte bei den kleinen Abschieden zwischendurch: Die letzten Worte
zwischen Tür und Angel.
Da dreht sich jemand noch einmal um: „Ach ja, was ich noch sagen
wollte ...“ Und dann kommt das Eigentliche, das Wichtige, das
Entscheidende.
Oder ein Kind geht aus dem Haus, in die Schule, zu einer Veranstaltung,
für ein paar Tage zu einer Freizeit oder zu Verwandten. „Pass
auf dich auf. Komm gesund wieder. Wir denken an dich. Melde dich mal.“
So ähnlich wie beim P.S. eines Briefes. P.S.: Postskriptum, auf
deutsch: das Nachgeschriebene, das hinterher noch Geschriebene. „P.S.:
Ach ja, das hätte ich ja fast vergessen ...“
Die wenigen letzten Worte, sie sind oft so wichtig, so ge-wichtig
wie die vielen anderen Worte vorher.
Die letzten Worte des Hebräerbriefes, die letzten Worte mitsamt
dem Amen, sind uns heute zum Nachdenken aufgegeben. Wenige Worte,
in die das Wichtigste noch einmal hineingepackt ist:
20 Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der
Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch
das Blut des ewigen Bundes, 21 der mache euch tüchtig in allem
Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt,
durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Das Schlusswort des Hebräerbriefes: Ein einziger langer Satz.
So kann man schreiben, aber nicht reden. Um ihn zu verstehen und zu
erfassen, muss man ihn – fast wie im Deutschunterricht –
erst ein wenig analysieren und aufgliedern:
Schauen wir erst hin, von wem die Rede ist. Wer oder was? fragt man.
Um wen geht es? Von wem ist die Rede? Wer handelt hier?
Gott schenkt Frieden und will Frieden
„Der Gott des Friedens." Um Gott geht es. Gott
steht im Mittelpunkt. Mit dem, was er getan hat und tut, damals und
heute. Ein Gott des Friedens ist er. Also ein Gott, der Frieden schenkt
und einer, der Frieden will. Diesem Gott werden die Leser dieser Zeilen
damals und wir Hörer heute anbefohlen. So auf die Art: „Ihr
könntet ruhig alles wieder vergessen, was ich euch lang und breit
gesagt habe. Aber, vergesst eines nicht: Gott sei mit euch. Sein Frieden
gehe mit euch."
Ähnlich geht es Ihnen, den Silbernen Konfirmanden, und auch uns
allen Konfirmierten: Was wissen wir schon noch von unserer Konfirmandenzeit?
Von den vielen Worten, Themen und Inhalten? Nicht sehr viel, vermutlich.
Wenn nur dieses eine bleibt, die letzten Worte: Der Segen am Ende
und der Konfirmationsspruch als Lebenswort.
Segen, Frieden, Schalom, das wird uns auf den Lebensweg mitgegeben.
Und das geben wir gerne auch anderen mit, wenn wir ihnen noch Abschiedsworte
sagen.
Ein Wunsch zum Schluss
Also: Der Gott des Friedens, der Frieden schenkt und Frieden will,
steht im Mittelpunkt. Fragen wir weiter wie im Deutschunterricht:
nach der Satzaussage: Was tut er? Was geschieht?
„Der Gott des Friedens, der mache euch tüchtig.“
Gott mache euch tüchtig. Gott mache euch fähig. Gott lasse
euch gelingen. Mit einem guten Wunsch, mit einer Aufmunterung entlässt
der Schreiber seine Hörer. Der Hebräerbrief, der nach seiner
eigenen Aussage (13,22) als eine Mahnrede verstanden werden will,
der auf Schritt und Tritt durchzogen ist von Warnungen und Mahnungen
- der endet mit einem guten Wunsch. Der endet – um im Bild zu
bleiben – nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit zum
Segen erhobenen Händen.
Ein Beispiel für uns alle. Ein Beispiel für unsere Briefe.
Ein Beispiel für unsere Gespräche untereinander: Die letzten
Worte zum Abschied, die Worte, die noch nachklingen und die man sich
merkt, die sollen gute, aufmunternde Worte sein. Worte, die den anderen
getrost und gestärkt davongehen lassen. Nicht Mahnungen und Aufforderungen
oder gar erhobene Zeigefinger, so dass der andere gebückt davonschleicht
oder gleich seine Ohren verschließt.
Wir sind noch nicht fertig
„Der Gott des Friedens, der mache euch tüchtig in allem
Guten.“
Der Friede Gottes ist also da, wo Menschen einander Gutes tun. Doch
das Gute tun, das können wir Menschen offenbar nicht aus eigener
Kraft, sondern Gott muss uns dazu tüchtig machen. Oder wie Luther
ursprünglich, aber für heute missverständlich, übersetzte:
„Der mache euch fertig.“ Der schenke euch die Fertigkeit,
die Fingerfertigkeit. Oder wie es aus dem Griechischen wörtlich
heißt: Der mache euch zurecht, der rüste euch zu.
Zurüstung brauchen wir mit einem christlichen Spezialbegriff:
Wir sind vor Gott noch nicht fertig. Wir sind noch keine durch und
durch taugliche Werkzeuge. Wir müssen Gott gleichsam an uns arbeiten
lassen wie ein Künstler an einer Figur arbeitet, bis sie dann
dem Bild entspricht, das er sich von ihr gemacht hat.
„Der Gott des Friedens, der mache euch tüchtig in allem
Guten, zu tun seinen Willen.“
Tüchtig zum Guten ist also, wer Gottes Willen tut. Was Gottes
Wille ist, steht hier nicht da. Am Ende eines langen Briefes kann
der Schreiber getrost auf das verweisen, was er vorher alles gesagt
hat. Als ein Beispiel nur ein paar Verse vorher: „Gutes tun
und mit anderen zu teilen, vergesst nicht.“ (13,16)
Doch es geht hier ja offenbar nicht so sehr darum, was genau das Gute
ist. Sondern: Wenn wir uns tüchtig machen lassen, wenn wir Gott
an uns feilen lassen, dann wird schon genau das herauskommen, was
Gott nötig hat. Wie wir aus der Fortsetzung sehen können:
Das Entscheidende ist geschenkt
„Der Gott des Friedens, der mache euch tüchtig in allem
Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt.“
Einfach gesagt: Wir brauchen Gott nicht nur bei der Vorbereitung,
sondern auch bei der Durchführung. Unsere Gaben und Fähigkeiten
liegen nicht in unserer eigenen Hand, und oft auch nicht das, was
bei aller guten und ehrlichen Bemühung hinten herauskommt. Da
kann mancher ein Lied singen im Blick auf die Kinder, den Beruf oder
die Gesundheit.
In bestimmten Lebensphasen wird gerne Bilanz gezogen: Wo stehe ich?
Was habe ich vorzuweisen? Wie war es bisher und wie mag es weitergehen?
Fragen, die ganz automatisch auch das Gespräch bestimmen, wenn
sich Menschen nach längerer Zeit wiedersehen: Verheiratet oder
noch solo oder wieder solo? Beruf? Kinder? Gesundheit? Gesellschaftliche
Position?
Und wenn ich recht verstehe, geschieht das nicht unbedingt auf die
Art: „Mein Motorrad, mein Auto, meine Yacht, meine Aktien.“
Sondern da ist eher Nachdenklichkeit. Die meisten entdecken in der
Rückschau, dass die entscheidenden Dinge im Leben nicht erarbeitet
und verdient, sondern geschenkt sind.
Jesus, der gute Hirte
Und jetzt auch noch das Ende des Bandwurmsatzes:
„Der Gott des Friedens, der mache euch tüchtig in allem
Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt
durch Jesus Christus.“
Zwei Wochen nach Ostern wird unser Blick noch einmal zurückgelenkt
auf Passion und Auferstehung. Womit wir beim Beginn des langen Satzes
wären:
„Der Gott des Friedens, der den großen Hirten der
Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch
das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig ...“
Ganz kurz wird wie in einem Glaubensbekenntnis noch einmal an Jesus
erinnert: an sein Leben, sein Sterben und sein Auferstehen. Und alles
einzelne wird zusammengebunden durch das Bild von Jesus als dem Hirten,
womit wir bei heutigen sog. Hirtensonntag landen.
Der große Hirte der Schafe ist Jesus, der letztgültige
Hirte, der Erzhirte, der nicht mehr überboten werden kann: Mag
Mose im Alten Testament als Hirte und Führer des Volkes das Vorbild
für diesen Gedanken gewesen sein, so ist in Jesus endgültig
zu sehen, was Hirte heißen kann.
Der große Hirte war er, indem er alles bis zur letzten Konsequenz
getan hat. Der große Hirte war er, indem er im Gegensatz zu
den vielen kleinen Hirten und Führern der Geschichte, die meist
nur das Blut anderer vergossen haben, sein eigenes Leben nicht geschont
hat.
Von Gott, dem guten Hirten, her zum Schluss zwei Wünsche:
Der Wunsch, dass der gute Hirte nach dem Psalm 23 uns immer wieder
auf rechter Straße führen und in den finsteren Tälern
unseres Lebens an unserer Seite bleiben möge.
Und der Wunsch, dass wir auch für andere Menschen solche guten
Hirten und Begleiter werden können. Vielleicht in Anlehnung an
das Motto der kleinen, zähen indische Nonne Mutter Teresa: „Lass
nicht zu, dass du einem Menschen begegnest, der nach der Begegnung
mit dir nicht ein wenig glücklicher ist.“
„Der Gott des Friedens aber, der mache uns tüchtig dazu."
Amen. |
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