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Die Predigt |
Was
trägt im Leben?
„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen“
So soll Martin Luther trotzig ausgerufen haben, als er sich im Jahr
1521 auf dem Reichstag in Worms vor Kaiser und Reich verantworten
musste. Das war die höchste Instanz der damaligen Zeit. Es ging
um Kopf und Kragen. Das Vertrauen auf das Wort Gottes war für
ihn ein so fester Grund, dass er sich dorthin nach Worms in die Höhle
des Löwen wagte.
Vier Jahre vorher noch war er ein eher unbekannter, braver Mönch
und Theologieprofessor gewesen. Bis zu jenem denkwürdigen 31.
Oktober 1517, wo er in Wittenberg seine 95 Thesen öffentlich
bekannt machte. Deswegen wohl am Vorabend des Allerheiligentages,
weil er in der damaligen Art der Heiligenverehrung eine Gefahr für
den rechten Glauben sah.
Luther und der Ablass
Wer genügend Geld für Ablassbriefe hatte, konnte sein Gewissen
beruhigen, ohne seinen Lebenswandel zu ändern. Wer wie sein Landesvater,
Kurfürst Friedrich der Weise, eine Menge Reliquien, also Überreste
von Heiligen, besaß, und sie an Allerheiligen stolz der Öffentlichkeit
präsentieren konnte, der hatte für das Himmelreich ausgesorgt.
Die Heiligen, so meinte man, hatten so viel Gutes getan, dass man
diesen Überschuss, dieses Guthaben für sich selber vor Gott
anrechnen lassen konnte.
Martin Luther war der Überzeugung, dass man damit den Menschen
eben keinen festen, tragfähigen Grund für ihr Leben angeboten
hat. Die Sicherheit, in der sich jemand mit dem Ablass wiegen konnte,
war für ihn eine Scheinsicherheit.
So billig ist Gott nicht zu haben. So verstehe ich in moderneren Worten
das damalige Anliegen Martin Luthers.
Gott ist nicht billig zu haben
Gott ist nicht billig zu haben. Das Gelingen meines Lebens ist nicht
billig zu haben. Dasselbe Anliegen lese ich in den beiden Bibelversen,
die uns heute als Predigttext zum Nachdenken aufgegeben sind. So schreibt
der Apostel Paulus im Brief an die Gemeinde in Philippi im 2. Kapitel:
„Also, meine Lieben, schaffet, dass ihr selig werdet, mit
Furcht und Zittern. Denn Gott ist's, der in euch wirkt beiden, das
Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen."
„Schaffet, dass ihr selig werdet." In einer moderneren
Übersetzung: „Bemüht euch mit allen Kräften,
dass ihr das ewige Leben gewinnt." Oder noch ein wenig moderner:
„Tut alles dafür, dass euer Leben einen bleibenden Sinn
gewinnt."
Auch Martin Luther hat damals alles für sein Heil tun wollen.
Ein Gewitter mit einem Blitzeinschlag direkt neben sich hatte ihn
aus der seelischen Bahn geworfen. Er hatte keinen Boden mehr unter
den Füßen. Aus dieser Erschütterung heraus ging er
ins Kloster. Man war zu seiner Zeit der Meinung, dass der Gott und
sein Seelenheil am meisten ernst nimmt, der ein Mönch wird. Und
Martin Luther wurde ein tadelloser Mönch. Er ging zum strengsten
Orden und erfüllte dort seine Mönchspflichten 110-prozentig.
Durch Verzicht auf Essen, Schlaf und jede Bequemlichkeit hat er in
einem wörtlichen Sinne gelebt, was Paulus schreibt: sich nämlich
mit Furcht und Zittern das ewige Leben zu erarbeiten.
Doch je ärger er sich quälte, desto unsicherer wurde er,
ob Gott wirklich mit ihm zufrieden sein könne und ob er wirklich
sein Menschenmögliches getan hat. Und an dieser Unsicherheit
ist er fast zerbrochen. In seinem Reformationslied, das wir vorhin
gesungen haben, erzählt er von diesen inneren Kämpfen:
„Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren, mein
Sünd mich quälte Nacht und Tag, darin ich war geboren. Ich
fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein, die
Sünd hatt' mich besessen.“
Und: „Die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn
Sterben bei mir blieb, zur Höllen musst ich sinken."
Auf festem Grund
Was war das für eine Erlösung, als er in diesen geistlichen
Kämpfen erkannt hat, dass man sich Gottes Anerkennung und Liebe
eben nicht erarbeiten kann, auch nicht unter größten Anstrengungen.
Man kann sie nur wie ein Geschenk empfangen.
Oder anders ausgedrückt: Was war das für eine Erlösung,
als er erkannt hat, dass er sich den festen Boden unter den Füßen
nicht selbst schaffen kann und muss. Der feste Grund ist da. Man muss
ihn nur betreten.
Eigene Bemühungen und Gottes Tun
Wie kann man das nun verstehen und logisch zusammenbringen, wenn Paulus
sagt: Wir sollen alles für ein gelingendes und ein sinnvolles
Leben tun, aber letztenendes liegen doch unsere Bemühungen und
das Gelingen allein bei Gott?
Die Volksmeinung legte es sich zu Luthers Zeiten so zurecht, und auch
heute denken manche noch genauso: Erst muss der Mensch seinen Teil
zum Gelingen beitragen und sich redlich bemühen, damit Gott dann
sozusagen das Begonnene zum Abschluss bringen kann. „Wer immer
strebend sich bemüht, den können wir erlösen."
So lesen wir es in Goethes „Faust". Aber genau das meint
Paulus nicht:
Gott schenkt Wollen und Vollbringen. Also: Wir können mit Gott
nicht in einen Handel eintreten und ihm vorrechnen: „Lieber
Gott, schau her, so viel habe ich nun schon aus eigener Kraft auf
die Beine gestellt. Jetzt bist du an der Reihe.“ Im Gegenteil:
Alles, was uns bisher im Leben gelungen ist, und von dem wir meinen,
wir hätten es uns selbst erarbeitet, kam genauso von Gott wie
das Unverdiente und Unerwartete.
Erschütterung in Grenzsituationen
Noch einmal also: Wie kann man beides miteinander vereinbaren: Unser
Bemühen um ein sinnvolles und gelingendes Leben und den Erfolg,
der letztlich doch von Gott allein kommt? Ich kann diesen Widerspruch
nicht auflösen. Doch der Schlüssel liegt vielleicht woanders:
„Erarbeitet euch euer Heil mit Furcht und Zittern." Es
liegt bei diesem Satz offenbar die Betonung nicht so sehr auf der
ersten Hälfte, dem Erarbeiten, der eigenen Kraft und Leistung.
„Furcht und Zittern." Da liegt das Geheimnis: Von Furcht
und Zittern ist im Alten Testament, der Bibel des Paulus, immer dann
die Rede, wenn Menschen in einer entscheidenden Situation ihres Lebens
Gott begegnen.
„Furcht und Zittern." Damit ist jene tiefe Erschütterung
gemeint, die Menschen in Grenzsituationen erlebt haben und heute noch
erleben. Wenn das Leben umgekrempelt wird. Wenn auf einmal nichts
mehr so ist wie zuvor: In großer Angst, aber auch in großer
Freude; in einer Bewahrung, aber auch am Rande des Todes; im überraschenden
Gelingen, oder auch im totalen Versagen.
Gotteserfahrungen den Boden bereiten
Billiger und einfacher als durch solche einschneidenden Erfahrungen
ist das Heil, ist gelingendes und sinnvolles Leben offenbar nicht
zu haben.
Nur bedingt liegen solche Erfahrungen in unserer eigenen Hand. Wir
können einschneidende Gotteserfahrungen nicht in einem wörtlichen
Sinne „machen“, wir können ihnen aber sehr wohl den
Boden bereiten. Wir können ihnen einen Raum eröffnen, in
dem sie geschehen können: durch Gebet, durch Meditation, durch
Pilgern, durch Bibellese, durch den Gottesdienst, durch Kirchenmusik,
durch Offenheit für Überraschungen.
Insofern liegt der feste Grund unter den Füßen ein klein
wenig auch in unserer Hand. Doch das Entscheidende ist Geschenk. Geschenk,
bei dem wir nur noch die Hände aufhalten können. Gott sei
Dank.
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