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predigt[e].de

Die Predigt vom 31. Dezember 2004 (Altjahrsabend):
»Der gute Gott und die Flut«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche begeht den Silvestertag als Altjahrsabend. Sein Thema ist das Gottvertrauen. Evangelium (1. Lesung) waren Jesu Worte vom überraschenden Kommen Gottes und Epistel (2. Lesung) das Vertrauen des Paulus, dass nichts von Gottes Liebe trennen kann. Als Predigttext wurde der Wochenspruch gewählt. Psalm 103, Vers 8:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.
Predigt
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Die Predigt
Zeit für Jahresrückblicke

Die Tage vor dem Jahreswechsel sind in den Medien die Zeit der verschiedenen Jahresrückblicke. Im Fernsehen sehen wir die Bilder eines Jahres. Die Tageszeitung blickt zurück auf die wichtigsten Ereignisse in Bayreuth. Wir sehen noch einmal die Gesichter der prominentesten Verstorbenen. Und auch im Gottesdienst hören wir an diesem Abend, wie sich unsere Gemeinde von den Zahlen her in diesem zu Ende gehenden Jahr entwickelt hat.

Persönlicher Jahresrückblick

Der Jahreswechsel lädt traditionell ein, Rückschau zu halten und ein Fazit zu ziehen. Aber im Gottesdienst steht meiner Meinung und meiner Tradition nach doch nicht so sehr die öffentliche Rückschau im Mittelpunkt, sondern
mehr das private Nachdenken, die ganz private Rückschau, die persönliche Bilanz. Nicht umsonst wird nach dem Gottesdienst zu Beichte und Abendmahl eingeladen: Mit der Beichte dieses alte Jahr beenden, abschließen, Frieden machen. Dank sagen für Gelungenes. Vergebung erbitten und empfangen für Misslungenes und Versäumtes. Und sich dann im Abendmahl neu der Begleitung Gottes vergewissern und mutig weitergehen.

Ich lade Sie heute abend ein, den Spruch des Tages zu bedenken, und mit diesem Spruch auch zu bedenken: Was habe ich in diesem Jahr hinter
mich gebracht? Wo stehe ich heute? Was mag vor mir liegen?
Psalm 103, Vers 8: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“

Ist Gott wirklich gut?

Stimmt das? Ist Gott barmherzig, gnädig, geduldig und gütig? Ist er es dieses Jahr gewesen? Ich meine, so kann man nicht fragen. Kein Bibelwort gilt allgemein. Es gilt für einen einzelnen Menschen. Und auch, ob dieses
Psalmwort wahr ist und inwiefern es wahr ist, muss jede und jeder von Ihnen im Blick zurück auf dieses Jahr selbst bedenken.

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“
Vier Dinge werden von Gott gesagt: Er ist gütig. Er ist gnädig. Er ist barmherzig. Er ist geduldig. Das ist auch der Aufbau der Predigt.

Ist Gott gütig?

Das erste: Gott ist gütig.
Ist Gott gütig? Ist Gott gütig angesichts dieser Flutkatastrophe? Ist Gott ein guter Gott? Ich kann die Frage nicht beantworten. Ich kann nur mit klaren Worten und frohen Herzens die Frage beantworten: Ist Gott gut zu mir? War er gut zu mir in diesem zu Ende gehenden Jahr? Vereinfacht gesagt, ist Gott gut zu uns, wenn es uns aus unserer menschlichen Sicht gut geht. Geht es uns gut? Hätte ich diese Frage noch vor einer Woche gestellt, dann hätten viele gesagt: Gut? Na, ja, im Vergleich ist vieles schlechter geworden. Wie wird es weitergehen mit dem Arbeitsmarkt, mit den Staatsschulden, mit
Hartz IV, mit der Glaubwürdigkeit der Politiker, mit der Umwelt? Nach einer Umfrage schaut der größere Teil der Bevölkerung pessimistisch in
das neue Jahr und erwartet von ihm weniger als von diesem.
Wenn ich aber nun heute nach der Flutkatastrophe frage: Geht es uns gut? Hier in der Saas, in Bayreuth, in Deutschland? Kann da überhaupt noch jemand guten Gewissens sagen: Es geht uns schlecht? Ist das nicht fast eine Gotteslästerung?

Nein, es geht uns aufs Ganze gesehen, trotz aller sozialer Probleme in Deutschland gut. Ja, wenn wir die zerstörten Ferien-Paradiese in Thailand sehen, dann geht es uns geradezu paradiesisch. Und deswegen kann es überhaupt keine Frage sein, dass wir in diesen Tagen auch Gutes tun müssen. Wir können spenden. Ja, wir müssen spenden. Sie finden Überweisungsträger bei jeder Bank. Und wer die Umstände scheut, kann der Kirchengemeinde Geld zur Weiterleitung anvertrauen.

Ist Gott gnädig?

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“
Das zweite: Gott ist gnädig.
Dass es uns so gut geht – im weltweiten Vergleich –, ist Gnade, ist reines Geschenk. Wir haben es nicht verdient. Die Hunderttausende, die in Asien umgekommen sind, waren keine schlechteren Menschen. Sie tragen auch keine verborgene Schuld. Die Flut ist keine Strafe Gottes. Und wir, die wir keine Überschwemmungen, keine Stürme, keine Erdbeben kennen, sind keine besseren Menschen. Jene haben nicht verdient, was ihnen jetzt Schreckliches widerfahren ist, und wir haben es nicht verdient, dass wir in unseren Breiten davon verschont bleiben.

War Gott den Opfern dieser Katastrophe nicht gnädig? Auch diese Frage kann ich nicht beantworten. Wir können nur antworten auf die Frage: Ist Gott mir gnädig? War er mir gnädig in diesem zu Ende gehenden Jahr?
Und eine jede und ein jeder muss sehen, was er da persönlich aufzuzählen hat: Ich bin nicht schwer krank gewesen. Oder: Ich bin überrsschend gesund geworden. Und es ist nicht mein Verdienst. Ich bin nicht unschuldig in einen
Verkehrsunfall verwickelt worden. Und es ist nicht mein Verdienst. Ich habe keinen lieben Menschen verloren. Und es ist nicht mein Verdienst.

Ist Gott barmherzig?

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“
Das dritte: Gott ist barmherzig.
Barmherzig, was ist mit diesen Wort gemeint? Sehr oft wird es im Alltag nicht verwendet. Und wenn, dann eher ohne viel Nachdenken. "Sei doch
barmherzig", sagt jemand, wenn er von dem anderen etwas haben möchte, oder wenn der mit einem anderen doch bitte nicht so streng umgehen soll.
Wenn wir die zwei Teile des Wortes anschauen: barmherzig ist, wer ein Herz hat, das sich erbarmt. Barmherzig ist, wer sein Herz öffnet. Barmherzig ist, wer auf einen anderen liebevoll zugeht.
Ist Gott barmherzig? Auch diese Frage kann ich nicht allgemein beantworten. Ich kann wiederum nur auf die Frage antworten: Ist Gott zu mir barmherzig? Ist er in diesem zu Ende gehenden Jahr zu mir barmherzig gewesen? Sind
Menschen in seinem Namen mit mir barmherzig umgegangen? Haben mir ihr Herz geöffnet und sind mir liebevoll begegnet?
Und dann fällt mir und Ihnen vielleicht manche Begegnung oder manches Ereignis dieses Jahres ein, wo es uns wirklich warm ums Herz geworden ist: weil Gott gut zu uns war, weil ein lieber Mensch ein Ohr oder eine Umarmung für uns hatte.

Ist Gott geduldig?

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“
Und das vierte: Gott ist geduldig.

Und auch hier wieder nicht so sehr die Frage: Ist Gott überhaupt und an sich und grundsätzlich geduldig? Sondern die persönliche Frage: Wo ist Gott in diesem zu Ende gehenden Jahr mit mir geduldig gewesen? Habe ich mir vielleicht zum letzten Jahreswechsel großspurig etwas vorgenommen? Habe
ich gar ihm etwas versprochen, eine Art Gelübde getan? Lieber Gott, wenn du ... dann ... Und dann hab ich's wie alle Jahre wieder vielleicht nur bedingt oder gar nicht in die Tat umsetzen können?
Oder weiß ich vielleicht ganz genau, dass dies oder jenes bei Licht besehen sich in meinem Leben eigentlich ändern müsste. Aber ich komme nicht voran. Die Kraft reicht nicht. Der Mut reicht nicht. Die Gewohnheiten sind stärker. Die Faulheit siegt. ...
Braucht Gott nicht wirklich immer wieder eine Menge Geduld mit mir, seinem Geschöpf? Er hat ein Bild von einer jeden, von einem jeden, was aus uns werden könnte, wofür er uns brauchen könnte auf dieser Welt, was unsere Sendung, unser Auftrag sein könnte. Vielleicht haben wir auch eine Ahnung davon.

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“ Gott sei Dank. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de