|
Die Predigt |
Zeit für Jahresrückblicke
Die Tage vor dem Jahreswechsel sind in den Medien die Zeit der verschiedenen
Jahresrückblicke. Im Fernsehen sehen wir die Bilder eines Jahres.
Die Tageszeitung blickt zurück auf die wichtigsten Ereignisse
in Bayreuth. Wir sehen noch einmal die Gesichter der prominentesten
Verstorbenen. Und auch im Gottesdienst hören wir an diesem Abend,
wie sich unsere Gemeinde von den Zahlen her in diesem zu Ende gehenden
Jahr entwickelt hat.
Persönlicher Jahresrückblick
Der Jahreswechsel lädt traditionell ein, Rückschau zu halten
und ein Fazit zu ziehen. Aber im Gottesdienst steht meiner Meinung
und meiner Tradition nach doch nicht so sehr die öffentliche
Rückschau im Mittelpunkt, sondern
mehr das private Nachdenken, die ganz private Rückschau, die
persönliche Bilanz. Nicht umsonst wird nach dem Gottesdienst
zu Beichte und Abendmahl eingeladen: Mit der Beichte dieses alte Jahr
beenden, abschließen, Frieden machen. Dank sagen für Gelungenes.
Vergebung erbitten und empfangen für Misslungenes und Versäumtes.
Und sich dann im Abendmahl neu der Begleitung Gottes vergewissern
und mutig weitergehen.
Ich lade Sie heute abend ein, den Spruch des Tages zu bedenken, und
mit diesem Spruch auch zu bedenken: Was habe ich in diesem Jahr hinter
mich gebracht? Wo stehe ich heute? Was mag vor mir liegen?
Psalm 103, Vers 8: „Barmherzig und gnädig ist der Herr,
geduldig und von großer Güte.“
Ist Gott wirklich gut?
Stimmt das? Ist Gott barmherzig, gnädig, geduldig und gütig?
Ist er es dieses Jahr gewesen? Ich meine, so kann man nicht fragen.
Kein Bibelwort gilt allgemein. Es gilt für einen einzelnen Menschen.
Und auch, ob dieses
Psalmwort wahr ist und inwiefern es wahr ist, muss jede und jeder
von Ihnen im Blick zurück auf dieses Jahr selbst bedenken.
„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von
großer Güte.“
Vier Dinge werden von Gott gesagt: Er ist gütig. Er ist gnädig.
Er ist barmherzig. Er ist geduldig. Das ist auch der Aufbau der Predigt.
Ist Gott gütig?
Das erste: Gott ist gütig.
Ist Gott gütig? Ist Gott gütig angesichts dieser Flutkatastrophe?
Ist Gott ein guter Gott? Ich kann die Frage nicht beantworten. Ich
kann nur mit klaren Worten und frohen Herzens die Frage beantworten:
Ist Gott gut zu mir? War er gut zu mir in diesem zu Ende gehenden
Jahr? Vereinfacht gesagt, ist Gott gut zu uns, wenn es uns aus unserer
menschlichen Sicht gut geht. Geht es uns gut? Hätte ich diese
Frage noch vor einer Woche gestellt, dann hätten viele gesagt:
Gut? Na, ja, im Vergleich ist vieles schlechter geworden. Wie wird
es weitergehen mit dem Arbeitsmarkt, mit den Staatsschulden, mit
Hartz IV, mit der Glaubwürdigkeit der Politiker, mit der Umwelt?
Nach einer Umfrage schaut der größere Teil der Bevölkerung
pessimistisch in
das neue Jahr und erwartet von ihm weniger als von diesem.
Wenn ich aber nun heute nach der Flutkatastrophe frage: Geht es uns
gut? Hier in der Saas, in Bayreuth, in Deutschland? Kann da überhaupt
noch jemand guten Gewissens sagen: Es geht uns schlecht? Ist das nicht
fast eine Gotteslästerung?
Nein, es geht uns aufs Ganze gesehen, trotz aller sozialer Probleme
in Deutschland gut. Ja, wenn wir die zerstörten Ferien-Paradiese
in Thailand sehen, dann geht es uns geradezu paradiesisch. Und deswegen
kann es überhaupt keine Frage sein, dass wir in diesen Tagen
auch Gutes tun müssen. Wir können spenden. Ja, wir müssen
spenden. Sie finden Überweisungsträger bei jeder Bank. Und
wer die Umstände scheut, kann der Kirchengemeinde Geld zur Weiterleitung
anvertrauen.
Ist Gott gnädig?
„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von
großer Güte.“
Das zweite: Gott ist gnädig.
Dass es uns so gut geht – im weltweiten Vergleich –, ist
Gnade, ist reines Geschenk. Wir haben es nicht verdient. Die Hunderttausende,
die in Asien umgekommen sind, waren keine schlechteren Menschen. Sie
tragen auch keine verborgene Schuld. Die Flut ist keine Strafe Gottes.
Und wir, die wir keine Überschwemmungen, keine Stürme, keine
Erdbeben kennen, sind keine besseren Menschen. Jene haben nicht verdient,
was ihnen jetzt Schreckliches widerfahren ist, und wir haben es nicht
verdient, dass wir in unseren Breiten davon verschont bleiben.
War Gott den Opfern dieser Katastrophe nicht gnädig? Auch diese
Frage kann ich nicht beantworten. Wir können nur antworten auf
die Frage: Ist Gott mir gnädig? War er mir gnädig in diesem
zu Ende gehenden Jahr?
Und eine jede und ein jeder muss sehen, was er da persönlich
aufzuzählen hat: Ich bin nicht schwer krank gewesen. Oder: Ich
bin überrsschend gesund geworden. Und es ist nicht mein Verdienst.
Ich bin nicht unschuldig in einen
Verkehrsunfall verwickelt worden. Und es ist nicht mein Verdienst.
Ich habe keinen lieben Menschen verloren. Und es ist nicht mein Verdienst.
Ist Gott barmherzig?
„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von
großer Güte.“
Das dritte: Gott ist barmherzig.
Barmherzig, was ist mit diesen Wort gemeint? Sehr oft wird es im Alltag
nicht verwendet. Und wenn, dann eher ohne viel Nachdenken. "Sei
doch
barmherzig", sagt jemand, wenn er von dem anderen etwas haben
möchte, oder wenn der mit einem anderen doch bitte nicht so streng
umgehen soll.
Wenn wir die zwei Teile des Wortes anschauen: barmherzig ist, wer
ein Herz hat, das sich erbarmt. Barmherzig ist, wer sein Herz öffnet.
Barmherzig ist, wer auf einen anderen liebevoll zugeht.
Ist Gott barmherzig? Auch diese Frage kann ich nicht allgemein beantworten.
Ich kann wiederum nur auf die Frage antworten: Ist Gott zu mir barmherzig?
Ist er in diesem zu Ende gehenden Jahr zu mir barmherzig gewesen?
Sind
Menschen in seinem Namen mit mir barmherzig umgegangen? Haben mir
ihr Herz geöffnet und sind mir liebevoll begegnet?
Und dann fällt mir und Ihnen vielleicht manche Begegnung oder
manches Ereignis dieses Jahres ein, wo es uns wirklich warm ums Herz
geworden ist: weil Gott gut zu uns war, weil ein lieber Mensch ein
Ohr oder eine Umarmung für uns hatte.
Ist Gott geduldig?
„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von
großer Güte.“
Und das vierte: Gott ist geduldig.
Und auch hier wieder nicht so sehr die Frage: Ist Gott überhaupt
und an sich und grundsätzlich geduldig? Sondern die persönliche
Frage: Wo ist Gott in diesem zu Ende gehenden Jahr mit mir geduldig
gewesen? Habe ich mir vielleicht zum letzten Jahreswechsel großspurig
etwas vorgenommen? Habe
ich gar ihm etwas versprochen, eine Art Gelübde getan? Lieber
Gott, wenn du ... dann ... Und dann hab ich's wie alle Jahre wieder
vielleicht nur bedingt oder gar nicht in die Tat umsetzen können?
Oder weiß ich vielleicht ganz genau, dass dies oder jenes bei
Licht besehen sich in meinem Leben eigentlich ändern müsste.
Aber ich komme nicht voran. Die Kraft reicht nicht. Der Mut reicht
nicht. Die Gewohnheiten sind stärker. Die Faulheit siegt. ...
Braucht Gott nicht wirklich immer wieder eine Menge Geduld mit mir,
seinem Geschöpf? Er hat ein Bild von einer jeden, von einem jeden,
was aus uns werden könnte, wofür er uns brauchen könnte
auf dieser Welt, was unsere Sendung, unser Auftrag sein könnte.
Vielleicht haben wir auch eine Ahnung davon.
„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer
Güte.“ Gott sei Dank. Amen |
|